Die Zukunft

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Ich stimme René Hamann zu, mir gefallen Abschiede auch nicht. Dies hier ist ein Pilotprojekt, das jeden Moment wieder Gas geben könnte. Zudem verschwinden wir nicht ganz, wir nehmen nur ein bisschen das Tempo heraus, senken die Intensität.

Es ist schwierig, einer Idee eine physische Form, etwas Reales, zu geben, sie in eine juristische Person verwandeln. Es ist schwierig, einer Idee treu zu bleiben, wenn viele Personen gleichzeitig sie bestimmen und ausmachen und wenn sie zweisprachig ist. In Wirklichkeit kamen wir an viele Grenzen, so wie Borges es sehr treffend in „Las Ruinas Circulares“ (Die kreisförmigen Ruinen) beschreibt: „Das Ziel, das uns lenkte, war nicht unmöglich zu erreichen, aber es hatte etwas Übernatürliches. Ich möchte einen Menschen erträumen: Ich möchte ihn detailliert integer und ihn dann in die Realität entlassen. Dieses magische Vorhaben hat den gesamten Raum meiner Seele ermüdet.“ Oder es wird ihn später noch mehr ermüden, wenn wir uns hinsetzen, um darüber nachzudenken – hoffentlich mit eurer Hilfe – was und worüber hier eigentlich gesprochen wurde.

Wir werden in den Texten unserer Autoren Schlüsselwörter suchen, neue Konzepte, Schneisen, um zu verstehen, wohin uns die Finanzkrise in den vergangenen Jahren geführt hat, wie sich die Welt nach dem 11. September anfühlt, was es bedeutet, ein Staatsbürger zu sein. Ich bin mir nicht sicher, ob wir es geschafft haben, ein generationelles Mosaik zu entwerfen, sondern vielmehr eines der Mittelschicht, ein sehr vielseitiges. Was wir gemeinsam haben, sind: der Zugang zur Technik, eine bürgerliche Erziehung und dass wir alle an der Uni die wichtigen französischen Philosophen des 20. Jahrhunderts gelesen haben. Uns unterscheidet die Beziehung, die ein jeder mit seiner Sprache führt. Spanisch ist an keinem Ort der Welt eine Nationalsprache, ich habe eine gesamte Generation von Katalanen erlebt, die Spanisch sehr schlecht sprachen. Auch haben wir uns an das Falschpanisch von Typen wie Gombrowicz gewöhnt, allein zwischen 1910 und 1935 landeten vier Millionen Menschen, europäische Immigranten, in Buenos Aires. An der Grenze zwischen Paraguay und Bolivien spricht man ein unverständliches Deutsch, in den sich abschottenden mennonitischen Gemeinden tragen die Frauen Kopftücher, in Venezuela gibt es die exakte Kopie eines Dorfes im Schwarzwald und überall sieht man Menschen mit blauen Augen, mit hellerer Haut, Kinder der verarmten europäischen Siedler, die es sogar bis zum Gran Chaco, einem trockenen Dschungel zwischen Nordargentinien, Südbolivien und Paraguay, und an andere Orte geschafft haben, an die man sich heute nicht mehr erinnert, auch wenn die bürgerlichen Sehnsüchte dort intakt geblieben sind.

Dann ist da auch noch diese gesamte Generation von ausländischen Autorinnen und Autoren, die auf Deutsch schreiben, und die Deutschen, die heutzutage ihr Leben anderswo auf der Welt führen. Wie bildet sich Zivilisation heraus? Vor vielen Jahren kaufte ich in einem Antiquariat das Tagebuch eines preussischen Soldaten, der in Hamburg in See stach und von Buenos Aires aus sogar die Ufer des Pilcomayo erreichte, ein Fluss in Zentrallateinamerika. Dass Hesse sich ein wenig von einer ähnlichen Geschichte hat inspirieren lassen, um Siddharta zu schreiben, erscheint mir durchaus möglich; nur so kann ich mir erklären, dass in der Bibliothek meines Großvaters im Chaco ein Siddharta stand, ein billiges Buch, erschienen in Argentinien – und das, obwohl in meiner Familie kein einziger Deutscher war.

Wir möchten uns bei unseren Übersetzerinnen und Übersetzern für ihre Arbeit bedanken, einige Texte waren wirkliche Herausforderungen. Wir bedanken uns vor allem bei unserem gesamten Berliner Team: bei den Nübel-Brüdern für das Erscheinungsbild, das sie unserem Spaceship gegeben haben, bei Adriana Bernal für den Überblick über alle Rechnungen, bei Valia Carvalho und Oscar Seca für Illustrationen, bei Sudaca Power, María Mandarina, Inti Che, Kid Watusi y Grace Kellyfür die Musik, bei Acud, La PulqueriaHotel Bar y Madame Sata für Räume und Gastfreundschaft, bei Der Freitag, Wilde Leser, Latinale, Die SpukKommune und allen Freunden, die uns geholfen haben, die Ideen zu verbreiten. Nun treten wir in die zweite Phase unseres Projekts ein und laden alle unsere Leser und Autoren ein, uns bei der Auswahl des Materials für ein superdemokratisches Buch zu helfen. Wir kehren zum Start zurück. Eure Vorschläge bitte an:

info@superdemokraticos.com

Bisher 1 Kommentar zu 'Die Zukunft'

  1. Timo Berger sagt:

    Liebe Rery, liebe Nikola,

    Glückwünsche! Ein sehr schönes Projekt geht zu Ende (oder vielleicht auch nicht, verwandelt sich nur in etwas anderes). Viele spannende Stimmen kamen auf den Superdemokráticos zu Wort, Ideen, Konzepte und Utopien wurden vorgestellt, diskutiert, verbessert oder wieder verworfen. Eine interkulturelle Dynamik erwuchs aus emphatischem Verstehen und unvermeidlichem Missverstehen – man möchte vielen der Autorinnen und Autor andernorts wieder begegnen. Euch viel Erfolg mit den Nachfolgeprojekten.