Máximo Lider – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Jede Generation muss ihre eigene Geschichte schreiben! http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/jede-generation-muss-ihre-eigene-geschichte-schreiben/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/jede-generation-muss-ihre-eigene-geschichte-schreiben/#comments Wed, 07 Jul 2010 06:18:03 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=420 Mit einer Kindheit, vergossen in den 80ern, begann eine Generation im Leben herumzustreifen, die sich von dem offiziellen politischen Diskurs trennte. Unsere Jugend verbrachten wir zwischen Losungen aus „Panamericano y Pa`lante“ und Elian. In der Schule berichteten sie uns von den Gräueltaten des Imperialismus und von der Manipulation der Medien durch diese Herren. Sie erzählten uns, wie gut es uns ginge und wie schlecht die Welt wäre. Durch die Verse von Martí, Neruda und Vallejo sahen wir die Realität einer Welt, die wir – so trichterten diese uns ein – verändern könnten.

Uns wurde beigebracht, das Offensichtliche anzuzweifeln, misstrauisch zu sein: Der Feind kann an jeder Ecke lauern. Caupolicán und die haitianische Revolution waren die Fakten, die uns das wunderbar Wirkliche aufzeigten, die zauberhafte Überraschung, im Alltag die wahren Heldentaten der Unterdrückten zu entdecken. Die Revolution wurde uns als historische Fortsetzung des Freiheitskampfs der kubanischen Bevölkerung präsentiert. Aus einer schwarz-weiß-malenden und vereinfachenden Position heraus wurde die Essenz der Revolution auf den Kampf gegen den nordamerikanischen Imperialismus reduziert. In jenen Momenten schien die Geschichte ein Synonym für Gedächtnis zu sein. Wir haben gelernt, uns daran zu erinnern, was die Position der Regierung legitimiert.

Nur als wir versuchten, das, was sie uns erzählten, in die Praxis umzusetzen, als wir es mit eigenen Augen sehen wollten, als wir unmittelbare Akteure in unserem Leben sein wollten, da haben wir entdeckt, dass wir zu den Unterdrückten gehörten.
In der Pyramide der kubanischen Politik war die Opposition verboten, es gab nur eine einzige wahre Meinung und diese wurde von einer Person vorgegeben: dem Máximo Líder, der Personifizierung der Revolution.
Wieso? Man muss stark gegen den gemeinsamen Feind, den Yankee-Imperialismus sein. Es ist nur so, dass der Kubaner meiner Generation zu bemerken begann, dass der Gegner nicht nur derjenige aus den Losungen der Regierung war, sondern auch der Staat selbst, der uns ohne Stimme und ohne Raum ließ. Uns wurde bewusst, dass die Medien nicht nur von den Herren aus dem Norden manipuliert werden, sondern auch von den compañeros aus der Nachbarschaft. Die Wahrheit, die uns eingetrichtert wurde, war so von ihnen geprägt, dass dafür in einer Generation von Kubanern, wie wir sie waren, kein Platz mehr war. Unsere Generation wuchs in einem demagogischen politischen Diskurs auf, der seinen Bürgern weder etwas zu Essen gab, noch ihnen Optionen für ein würdevolles Leben eröffnete. Ein Diskurs, der von der Rhetorik lebt und die Bürger zu Hilfsarbeitern einer schizophrenen Politik macht, in dem alles von oben herabdiktiert wird.

Diese neue Dimension der Realität zu sehen, ließ viele erblinden. Der Feind hörte auf, offensichtlich zu sein, er verlor seine Personifizierung; er war nun nicht mehr 144 Kilometer entfernt, sondern zwischen uns. Die Person, die ihn verkörperte war nun derjenige, der früher behauptete, eine Revolution des Volks und für das Volk gemacht zu haben. Das Paradoxe daran ist, dass sich die Veränderungen verstärkend auf die Konzentration der Macht auf eine Person auswirkte, eine Macht, die eigentlich von allen ausgeübt werden sollte. Dieser Mann, der glaubte alles zu sein, wird nicht von der Geschichte freigesprochen werden, wie er es zu seiner Verteidigung behauptet hatte, denn er hat sich in dem Wirrwarr seiner Machtausübung verloren. Aber er ist nur die Verkörperung – das System, das dahinter steht, ist viel komplexer. Der Beweis dafür ist es, dass das System immer noch weiter humpelt, obwohl er nicht mehr „da“ ist.

Wenn man über all dies nachdenkt, stellt man fest, dass die Geschichte nun nicht mehr nur aus Gedächnistraining besteht. Es geht nun nicht mehr darum, sich an die Entdeckung Amerikas zu erinnern, sondern vielmehr, sich darüber bewusst zu sein, dass die Konstruktion dieser historischen Ereignisse die Machtbeziehungen widerspiegelt. Wenn die Spanier von den Azteken und Inkas besiegt worden wären, wäre es nicht zur Entdeckung Amerikas gekommen. Das Geschichtsverständnis, das auf reinen Tatsachen beruht und es verpasst, die dynamische Dimension zu begreifen, die sich durch die Wechselwirkungen zwischen dem Subjekt der Geschichte und der Geschichte selbst zeigt, vermochte es nicht, mir meine Realität begreiflich zu machen. Genau deswegen will ich nicht, dass irgendwer mir die Geschichte erzählt. Denn letztendlich können wir sie selber machen.

Die Konstruktion der Geschichte ist nicht von der soziopolitischen Konstitution gesellschaftlicher Gruppen zu trennen, welche wiederum die Geschichte als wahr legitimieren. Genau deswegen handelt es sich bei ihrer Niederschrift nicht um eine rein akademische, sondern auch um eine praktische Aufgabe, die im Kern eine Frage der kulturellen Hegemonie ist und unauflöslich mit politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen verknüpft ist. Die Geschichte – egal ob mündlich oder schriftlich – ist keine reine Vermittlung von Wissen, das von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird, sie ist auch der Moment der Entstehung neuer historischer Subjekte und ihres sozialen Imaginären, von dem ausgehend die Subjekte ihre Identität konstruieren. Die Aneignung der Geschichte beinhaltet demzufolge notwendigerweise die Kritik an dem empfangenen Erbe. Denn wir fehlten in der Geschichte, die uns beigebracht wurde. Sie dient uns dazu, die Notwenigkeit zu verstehen, sie neu zu schreiben. Damit wir nicht aus dem Blick verlieren, dass in den Jagdbüchern immer nur die Jäger verherrlicht werden, solange die Löwen noch nicht ihre eigenen Geschichtsschreiber haben.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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