Humboldt – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Der Humboldtsche Blick. Wissenstransfer aus den Amerikas ist eine neo/ koloniale Leerstelle http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/der-humboldtsche-blick-wissenstransfer-aus-den-amerikas-ist-eine-neo-koloniale-leerstelle/ Fri, 08 Oct 2010 10:00:22 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2734
Deutsche und argentinische Gastblogger berichten für Los Superdemokraticos über die Frankfurter Buchmesse. Die Redakteurin und Doktorandin Julia Roth schreibt für die Zeitschrift polar und das MissyMagazin. Derzeit arbeitet sie an zwei Projekten im Rahmen des Bicentenario-Jubiläums am Haus der Kulturen der Welt und am Hebbel Am Ufer mit.

„Das Leben ist ein Tango“ steht in großen Lettern am Stand des Wagenbach-Verlags. Immer wieder Tango. Ich beginne, mich zu langweilen. Pampa, Patagonien, Gauchos, weites, leeres Land. Die Bilder von und über Argentinien bedienen meistens den (verinnerlichten) europäischen Blick. Und fokussieren die „schöne“ Literatur und fiktive Genres. Die Damen Landesgenossinnen am Nachbartisch diskutieren Korruption und Rückständigkeit Argentiniens und die atemberaubende Landschaft. Zitieren Humboldt. – Aber wo auf unseren diskursiven Landkarten sind die Denkerinnen und Denkern, Theoretikerinnen und Theoretiker aus den Amerikas? Was ist mit nicht eurozentristischem oder sich an europäischen Standards orientierenden Wissen? Wer bestimmt, was übersetzt und rezipiert wird und wie? Auf der Ebene der Bewertung, Einordnung und Theoretisierung von Wissen und die Teilhabe an Wissensproduktion und -transfer besteht die koloniale Schieflage offensichtlich weitgehend fort.

Da! Im Programm des Standes des Goethe-Instituts Buenos Aires ein Lichtblick! Morgen von 16 bis 17 Uhr greift dort eine Diskussionsrunde das Thema Wissensproduktion auf. Dort diskutieren der argentinische Verleger Carlos Díaz, der englische Verleger Bill Swainson und die Geisteswissenschaftlerin Anke Simon Lateinamerika als Ideenschmiede. Zur Debatte steht der asymmetrische hegemoniale Nord-Süd-Kreislauf von Wissen, die Dominanz des Englischen in den Wissenschaften und die hegemoniale Position des globalen Nordens als Produzent von Theorien, an denen sich ‚der Süden’ orientieren muss, um wahrgenommen zu werden.

Es bleiben viele Fragen. Und ich beschließe, den Abend nicht mit der wankelmütigen hegemonialen Intelligentsia bei Rotwein zu begehen. Ich fahre zurück nach Berlin. Dort eröffnet heute die Ausstellung „Das Potosí-Prinzip“ zu kolonialer Ausbeutung von Ressourcen, Wissen und Images Lateinamerikas. Untertitel: „Wie können wir das Lied des Herrn im fremden Land singen?“

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Wer hat denn schon die ganze Welt regiert? http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/wer-hat-denn-schon-die-ganze-welt-regiert/ Fri, 24 Sep 2010 07:04:57 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2256 Ich bin froh, dass ich im Augenblick nicht auf hoher See dahintreiben muss, um den Seeweg nach Indien zu suchen. Ich danke all den tapferen Seefahrern, Entdeckern und Abenteurern, dass mir diese Strapazen heute erspart bleiben können. Wenn mir Google Earth nicht immer wieder die Sachverhalte bestätigen würde, die wir alle in Geographie gelernt haben, würde ich vor Neugier platzen und am Ende selbst in See stechen müssen. Und wie schon der Titel eines Buches von Ilja Trojanow suggerieren will: Die Welt ist groß und Rettung lauert überall, ist die Welt in unsere Köpfe eingezogen und bietet uns unendlich scheinende Welten, in die wir reisen können. Migration verliert durch die Linse der Globalisierung betrachtet ihre ausländische Schattierung. Plötzlich scheinen wir alle Teil einer großen Fremde oder eines ganzen Planeten zu sein.

Doch die Erde hat für mich seltsame Flecken. Sie ist politisch segmentiert und zerfasert, und diese Fragmentation erinnert mich immer wieder daran, dass der Weltbürger ein Ideal und kaum real ist, denn jeder Bürger würde an Barrieren von Nationalstaatenpolitiken scheitern, noch bevor er Welt– oder Weltenbürger werden könnte. Und das schon seit Columbus. Die Welt ist groß? Nicht für jeden. Rettung? Kommt drauf an. Wer hat denn nun die ganze Welt regiert? – Niemand! Und das wird auch niemand, denn die ganze Welt passt nicht in einen einzigen Kopf. Selbst Geld gibt es nicht überall, also: Money doesn‘t rule the whole world, but just a part of it.

Wie könnte ich trotzdem noch Weltbürger im Geiste Humboldts werden? Würde es reichen, dass ich mehr als sechs Monate im Jahr in Flugzeugen verbringen würde und damit meinen ersten Wohnsitz in Deutschland verlöre? Ich bekäme Ärger und wäre gezwungen, mich auf einen Wohnsitz festzulegen – der Steuern wegen, denn Weltsteuern gibt es nicht. Wäre ich staatenlos, wäre ich verloren, keiner würde was mit mir zu tun haben wollen. Ich hätte horrende Einreiseprobleme, weil nicht klar wäre, wohin ich gehörte – ich könnte ein Feind sein! Der Status Frau von Welt ist da schon einfacher zu erreichen, da braucht man bloß ein bisschen zu reisen und viele exotische Geschichten zu erzählen. Dabei ist einem sogar das Internet behilflich. Weltbürger, mit allem was die Begriffe Welt und Bürger mit sich bringen, kann schon aus nationalstaatlichen Verfassungen heraus bis heute niemand werden. Der Begriff ist zu ideal, denn so rund ist die Erde schließlich auch wieder nicht, wie wir sie uns vorstellen.

Globalisierung ist ebenfalls ein Ideal, denn die politischen Asymmetrien auf diesem Planeten widerstreben ihr. Sie ist so ein Unbegriff wie universal oder total. Ideale sind Druckmittel, aber keine echten Zustände. Und unglaublicherweise konnte Humboldt nur das Ideal von Weltbürger werden, weil schon zu seinen Lebzeiten der Planet in den Köpfen vieler Leute globalisiert war. Seine Ideale sind aber bis heute Ideale geblieben. Globalisierung hat doch zum einen mit der Frage zu tun: Wie kommt die ganze Welt in meinen Kopf? Und die Antwort darauf kapituliert zumeist vor der Angst vor dem Verlust an kultureller oder sozialer Schwerkraft. Aber die Welt umfasst nun mal die ganze Erde, global gesehen oder nicht.

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Verloren in der Universität http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/verloren-in-der-universitat/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/verloren-in-der-universitat/#comments Sun, 18 Jul 2010 08:00:54 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=466

Kuba, 17. bis 29. November 2007.

Mein Start im Klassenzimmer war sehr konfliktbeladen. Bereits in der Grundschule begann ich, den Älteren zu misstrauen, die uns Anweisungen zu geben versuchten. Sie nannten uns „Kinder“, was so viel bedeutet, als hätten sie das Recht alles mit uns machen zu können. Sie verpassten uns nicht nur eine psychologische Tracht Prügel, die tiefe Spuren hinterließ, sondern brachten uns auch bei, uns diese Prügel selbst zu verabreichen. In meiner Grundschule gab es einen Helden. Eines Tages fing er an zu zweifeln, ob das Erlernen von Mathe oder Geschichte wirklich notwendig sei, und er schrie das laut heraus. Einen ganzen Nachmittag durfte er deswegen nicht mit seinen MitschülerInnen spielen. Da er sich nicht beugte, wurde er fast einen ganzen Monat isoliert. Heute ist er ein BWLer, der zwar lacht, aber nicht mehr zweifelt.

Ich ging den mir vorbestimmten Weg und durchlief alle Schulklassen bis zur Universität. Mein blindes Vertrauen in die Universität erwuchs aus dem Glauben, dass ich dort schlussendlich lernen würde, mich zu irren. Aber Universitäten sind noch mehr dazu da Gewissheit zu schaffen; die Humboldt Universität in Berlin, wo ich derzeit studiere, ist da überhaupt keine Ausnahme. In den Kursen lerne ich, dass antike Geschichte nur die Geschichte der Römer und Griechen meint; dass Philosophie heißt, etwas mit Logik zu erklären – alles übrige ist Ideologie.

Mir wird beigebracht, wie wichtig es ist, jeder Art von Formalität wortgetreu zu folgen, und dass die Wissenschaft unpersönlich ist, dass es in der Wissenschaft keinen Raum dafür gibt, was manche Gefühle nennen. Zusammengefasst habe ich den immensen Genuss kennengelernt und erlernt, mich in nichtigen Diskussionen zu verlieren. Eines Tages, als ich mal wieder dieses Königreich der Freiheit genoss, musste ich es sagen: Dass alles sinnfrei ist.

Mit den vorherrschenden Theorien als Referenz, versuchte ich meine Antworten zu begründen – so, wie mir das beigebracht worden war. Ich zitierte ein paar alte Deutsche, ein paar französische Kritiker von alten Deutschen und Lateinamerikaner, die mit all dem nicht übereinstimmen. Aber meine Kritik wurde nicht angenommen, und ich wurde als jemand bezeichnet, der eine ideologische Runde mit Denkern drehen wollte, die schon überholt waren.

Oups! Mir wurde exakt das geantwortet, was man in Havanna seit vielen Jahren sagt: „Wenn du nicht der gleichen Meinung bist, was machst du dann hier?“ Seitdem haben die Vorwürfe meiner Mutter, die darauf beharrt, dass Philosophie und Geschichte Zeitverschwendungen sind, für mich einen ganz neuen Stellenwert angenommen.

Aixa

15 – Rockasón – Alejandro Gutiérrez – H.Abierta – Habana Abierta

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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