Deleuze Guattari – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Die mundialisierte Literatur in 3 Punkten http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/die-mundialisierte-literatur-in-3-punkten/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/die-mundialisierte-literatur-in-3-punkten/#comments Fri, 17 Sep 2010 07:10:26 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1930 0.- Mundialisierung

* Ich bevorzuge den Terminus „Mundialisierung“ (mundializaçao), den der Brasilianer Renato Ortiz zur Konzeptualisierung der kulturellen Dimension der Globalisierung geschaffen hat. Denn wir stimmen wohl darin überein, dass transnationale Konzerne und Flughäfen eine Sache sind und eine ziemlich andere die Aneignung des Fremden seitens lokaler Kulturen. Hier würden Deleuze und Guattari ihren leicht abgedroschenen Zungenbrecher einwerfen: Deterritorialisierung und Reterritorialisierung.

* Ich sehe das so: Ein neues Lied von Madonna wird auf den Markt gebracht, angekurbelt von transnationalen Werbetrommel, und erobert alle Radiosender der Welt. Dennoch wird zu dem Lied in jeder Kultur in einem anderen Takt getanzt. Ein Schwede könnte nicht genauso wie ein Venezolaner zu dem Lied tanzen, so viel er auch üben würde. Aber nicht davon, sondern von Literatur möchte ich reden. Also ist dies hier der Nullpunkt.

1.- Deutschland

* Der mexikanische Schriftsteller Jorge Volpi ist zu einem klassischen Beispiel des globalen Schriftstellers geworden. 1999 überraschte er damit, dass sein Roman „En busca de Klingsor“ (dt.: Das Klingsor-Paradox) in Deutschland während des 2. Weltkriegs spielte. Und dass er erklärte, niemals in Berlin gewesen zu sein. Ab einem gewissen Zeitpunkt waren es die lateinamerikanischen Schriftsteller leid, über fliegende Nonnen und all die Ikonen des Magischen Realismus zu schreiben, und sie widmeten ihr Schreiben sehr realen Städten, der Popkultur, und sogar Ländern, in denen sich noch nicht einmal gewesen waren.

* Ich habe gerade die ersten Geschichten aus dem Buch „El mundo sin las personas que lo afean y lo arruinan“(Die Welt ohne die Personen, die sie verunstalten und ruinieren) von Patricio Pron gelesen, einem argentinischen Schriftsteller, der bis vor kurzem in Deutschland lebte. Alle Geschichten spielen in Deutschland und sind so deutsch, dass ich gedacht hätte, dass sie von einem deutschen Schriftsteller stammen würden, hätte ich nicht den Klappentext gelesen.

* In meiner Kurzgeschichte „El perro de Nina Hagen“ (Der Hund von Nina Hagen)  geht die Protagonistin in eine Bar in einer Straße in Berlin, die ich aus google maps heraus gesucht habe. Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass ich gerade einmal ein paar Stunden auf dem Frankfurter Flughafen verbracht habe, auf dem Weg nach Tel Aviv.

* Deutschland, aber auch jedes andere fremde Land. Bücher, die geschrieben werden dank Fotos, Filmen, Information aus dem Internet, google earth, kurzen Aufenthalten, Erzählungen von Freunden.

2.- Nullpunkt

* Es gibt eine Kurzgeschichte von Eduardo Berti, die ich hervorragend finde. Sie heißt „La carta vendida“ (Der verkaufte Brief) und spielt an einem Ort mitten im Nichts, in einem wer weiß wo liegenden Kreideabbau. Ich weiß nicht warum, aber ich nehme an, es ist ein lateinamerikanisches Land. Für die Geschichte sind sowohl der Ort als auch die Zeit irrelevant.

* Es ist unmöglich, den realen Schauplatz der Geschichten, die ich von Eduardo Berti gelesen habe, auszumachen. Sie spielen wohl in einem lateinamerikanischen Land, aber in welchem?

* Der argentinische Schriftsteller Marcelo Cohen hat einen Kontinent erschaffen: Das Panoramadelta. Und er verortet außerdem jede seiner Geschichten auf einer der von ihm erfundenen Inseln. Marcelo Cohen hat einmal gesagt, dass jeder Schriftsteller sich gut überlegt, in welchem Raum sich seine Figuren bewegen, aber dass dieses Thema bei den außerhalb ihres Heimatlands lebenden Schriftstellern zur Obsession wird.

* Gibt es eine Literatur, die nirgends verortet ist und die überall gelesen werden möchte? Eine Literatur, die sich mundialisieren möchte, die sich von hier nach dort bewegt, die heimatlos ist? Oder ist es eher so, dass die Zirkulation von Menschen, Essen, Stilen, Wiederholungen, Flughäfen dazu führt, dass die schreibende Person vom einem Ort aus schreibt, der vom Globalen durchkreuzt wird, weil auch seine Identität vom Globalen durchkreuzt ist?

3.- Todorov und ich

* Todorov meinte, dass die Globalisierung für die Literatur wunderbar sei. Er bezog sich dabei auf genau diese Möglichkeit, alles zu lesen, ohne sich vom Fleck zu bewegen.

Ich würde es nicht wunderbar nennen, aber ich glaube schon, dass für diejenigen, die unter freiem Himmel schreiben – nomadische Schriftsteller mit diskontinuierlichen Identitäten – die Mundialisierung der Kultur der einzig mögliche Ozean ist. Wunderbar? Ich weiß nicht.

Übersetzung: Anne Becker

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