Cuba – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Ein Kurzschluss für Fátima http://superdemokraticos.com/laender/kuba/ein-kurzschluss-fur-fatima/ Fri, 20 May 2011 21:03:13 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3825 „Vale Todo“ (im Deutschen: „Um jeden Preis“) war eine brasilianische Telenovela, die während des Período Especial, der Sonderperiode in Friedenszeiten, auf Kuba gezeigt wurde. In jenen Jahren gab es geplante Stromabschaltungen für mehrere Stunden und oftmals fanden diese auch während der Übertragung der Telenovela statt. Meine Mutter und ich, beide begeisterte Fans, rannten in Schlappen, im Morgenmantel und mit wehendem Haar aus dem Haus zum nächsten Bezirk. Wenn in unserem Bezirk, das war der 6., der Strom abgeschaltet wurde, gab es im 19., nur ein paar Blocks entfernt, weiterhin Strom. Und genau dahin gingen wir und nervten jeden, den wir mehr oder weniger kannten, solange, bis wir uns aufs Sofa setzen durften, oder einfach nur am Fenster stehen konnten, um die Sendung zu sehen. Des Öfteren schlichen wir uns einfach ins Krankenhaus und sahen sie uns dort gemeinsam mit den Patienten in den Aufenthaltsräumen an. Das einzig Wichtige war, rein gar nichts von den Dingen zu verpassen, die Rachel und ihrer Tochter Fátima – den beiden Protagonistinnen – so passierten. Mit der Zeit und den anhaltenden Stromabschaltungen, wurde es irgendwie nicht mehr so spannend in einen anderen Bezirk zu gehen, uns fehlte die Inbrunst, der Elan, die Würde, die uns „Vale Todo“ bot. Ja wirklich, diese Novela war und ist immer noch das Größte.

Bei mir zu Hause hatten wir einen russischen Kühlschrank. Da ich von der Telenovela so begeistert war, beschloss ich eines Tages ihn Fátima zu nennen, denn er war so ehrgeizig, opportunistisch, berechnend und doch gleichzeitig menschlich wie sie. Ich zwang alle dazu, den Kühlschrank so zu nennen, damit konnte ich „Vale Todo“ für immer in meiner Nähe haben. Denn ganz ehrlich, als die Novela zu Ende war, fühlte ich mich so verloren, so allein… Außerdem hatte unser Kühlschrank tatsächlich große Ähnlichkeit mit Fátima: Er war nicht mehr wirklich gut, aber gleichzeitig konnten wir nicht leben ohne ihn. Innen, am Boden, war er zwar etwas oxidiert und man musste von Zeit zu Zeit die Dichtungsgummis austauschen und Schäden am Blech reparieren lassen, aber er kühlte die Sachen ganz wundervoll. Manchmal machte meinen Mama Eis am Stiel und Eis mit Reis, um sie an die Kinder in der Nachbarschaft zu verkaufen.

Ich machte es zu meiner Aufgabe, Fátima zu behüten, als wäre sie meine Tochter. Jedes Mal wenn der Strom abgeschaltet wurde, musste bei Fátima sofort der Stecker gezogen werden, damit sie von dem plötzlichen Impuls, wenn der Strom wieder angeschaltet wurde, keinen Kurzschluss bekam. Ich übernahm das. Unsere Nachbarschaft kaufte sich für ihre Roque Santeiro oder Jorge Tadeo – Nachbarn von Fátima in der brasilianischen Telenovela – spezielle Geräte, die dafür sorgten, dass die Kühlschränke nicht durchbrannten, wenn der Strom wieder kam. Diese Geräte, die man auf dem Schwarzmarkt recht teuer besorgen konnte, regelten den auch Spannungsabfall, ebenfalls eine Sache, die regelmäßig vorkam und immer noch vorkommt. Ich habe auch ein solches Gerät gekauft. Alles für Fátima, für meine Fátima, meine Tochter, die ich jeden Tag mit einem Tüchlein abwischte und niemals zuließ, dass irgendwer auch nur ein böses Wort über sie verlor.

Als vor einigen Jahren die Energie-Revolution begann und ich dann nun doch nicht mehr so klein war, sollten wir Fátima durch einen dieser chinesischen Kühlschränke ersetzen, die Haier heißen. Da habe ich mir für einen Moment lang überlegt, wie es wäre, wenn ich, Lulú Malanga, durch das Haus schreien würde: „Ochín, hast du noch ein Ei für morgen früh? Und eine Limo? Und ein bisschen Hackfleisch?“ Dinge eben, die ich sonst immer mit Fátima besprochen habe. Und Ochín würde mir unter Tränen antworten: Nein, Lulú, nein, nein, nein. „Ochín“ war eine chinesische Telenovela, die auf Kuba kurz nach dem Ende von „Vale Todo“ gezeigt wurde, und Ochín, die gleichnamige Protagonistin, heulte den ganzen Tag durch, die ganze Zeit. Das ging nicht. Ich wollte Fátima nicht durch diese kleine Chinesin ersetzen. Wenn Fátima Nein sagte, dann sagte sie es mit Würde, mit Stil. Nein und nochmals nein, ich habe zu sehr für Fátima gekämpft, als dass ich zulassen konnte, dass mit einem Hammer auf sie eingeschlagen und sie zum Einschmelzen in einen dieser großen Öfen geschoben werden würde. Also habe ich sie nicht weggegeben.

Aber es stimmt schon, Ochín wäre stromsparender gewesen. Ich höre oft wie alle meine Nachbarinnen ihre Takeshi und Voltus V anschreien, aber ich habe noch niemals eine Beschwerde über die Ausgaben gehört, über das Geld, das sie monatlich wegen des hohen Verbrauchs zahlen müssen. Und ich sehe mir Fátima an, alt, oxidiert, mit Blechschäden, die man reparieren, und einem Motor, der ausgetauscht werden muss, aber jetzt sind sie teurer, denn es gibt nur noch die chinesischen. Und da steht sie in der Ecke, als würde sie mir Vorwürfe machen, dass ich sie nicht den Flammen überlassen habe. Tja, unsere Beziehung hat sich eben verändert. Obwohl es mir schwer fällt, muss ich es wohl zugeben: Fátima und ich sind seit der Energie-Revolution einfach nicht mehr die alten. Gestern Nacht habe ich wieder von „Vale Todo“ geträumt. Von der berühmten Folge, in der Raquel Fátimas Brautkleid zerreißt und Fátima am triumphalen Ende einen millionenschweren Prinzen heiratet, mit ihm nach Mailand geht, ihren Sohn und ihre Mutter verlässt und damit ihr Leben meistert. Dann bin ich aufgewacht. Ich ging in die Küche und sah meine Fátima. Jeden Tag mehr am Ende, die Arme. Ich stellte mir vor, wie sie diesen Prinz heiratet und begann fast zu weinen.

Darum habe ich heute einmal nicht an mich gedacht und als erstes heute Morgen das Gerät, das Fátima beschützt, ausgeschaltet. So habe ich sie stehenlassen, ungeschützt vor dem elektrischen Strom. Soll er es doch erledigen. Und nicht ich oder sie.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Die Glücksmaschine? http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/die-glucksmaschine/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/die-glucksmaschine/#comments Tue, 12 Oct 2010 15:00:55 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2471
raro (lo cual no es malo)
Image by ectopic via Flickr

Es ist Zeit, sich von den Superdemokraticos zu verabschieden, und ich bin versucht, ein Resümee zu ziehen. Was nehme ich mit aus dieser Erfahrung? Habe ich das Projekt genießen können? Hat dieses Blog gehalten, was es versprochen hat?

Beginnen wir – ich und meine anderen Ichs –  mit der Feststellung, dass keine Erfahrung je so ausfällt wie erwartet. Eines meiner Ichs findet, dass sich einige der Erwartungen erfüllt haben: zum Beispiel, auf gleichgesinnte Leute zu treffen. Oder die Erwartung, interessante Artikel zu lesen und mehr über die Länder der teilnehmenden Autoren zu erfahren. Und was hat sich nicht erfüllt? Ich wüsste keine Antwort. Ich kann nur sagen, dass die Lust auf mehr Dialog bestehen bleibt, auf ein tieferes gegenseitiges Durchdringen und Verstehen, von uns, den Autoren des Blogs. Es kann sein, dass ich mir das Projekt wie eine Art Experiment in virtueller Demokratie vorgestellt habe, wie einen Raum, in dem wir unseren jeweiligen Ort der politischen Partizipation auf die Probe stellen. Es ist mir klar, dass ich einen auf schlau, vielleicht sogar auf träumerisch gemacht habe, das braucht mir niemand zu sagen. Aber ich habe mehr noch getan: Ich habe mich als hellwache Träumerin versucht. Ich habe die Zeit, die ich den Superdemokraticos widmete, in einer Art Limbo verbracht, welcher aus meinen Erwartungen hervor ging. Ich verfasste Essays über Möglichkeiten des politischen Handelns ausgehend von den Ideen meiner Landsmänner und –frauen (ja, für mich war dieses virtuelle, nicht geographisch abgegrenzte Territorium in diesen Monaten eine Art geteilte Heimat). Eine virtuelle Heimat, eine Heimat, die nicht die Signatur von Nationalismen, Geschichten oder Gründungsmythen trägt und kein gemeinschaftliches Pathos als Kleister benutzt. Eine Heimat, die das Verständnis von Heimat als Ort, an dem man geboren ist oder als geopolitisch kodifizierte, physisch-territorial abgegrenzte Einheit neu justiert. Ich habe eine kollektive und deterritorialisierte Heimat erlebt, welche gewagte Ausformungen erhielt, die unter Fragezeichen Gestalt annahmen und schüchtern diskutiert wurden, um dann mangels Glauben an eine kollektive Übereinkunft aus Unlust wieder fallen gelassen zu werden. Ist das schlecht? Ich finde es uninteressant, es aus dieser Perspektive zu betrachten. Es ist, was es ist. Ich finde es interessanter, die damit einher gehende produktive Kraft, die politische Aktivität zu beleuchten. Die Sorte entideologisierten Lüftchens, das unsere Interaktion belebt, hat mit einer bestimmten Sensibilität des 21. Jahrhunderts zu tun, die einem Aufzeichnungsregister ähnelt, das noch keinen Eingang in die epische Erzählungen der historischen Disziplin gefunden hat, trotz der Bemühungen seiner Revitalisierung. Unser Interesse gilt nicht etwa dem Sturz oder der Auswechslung von Regierungen oder der Predigt für eine neue Systeme globaler Gesellschaftlichkeit. Unser Enthusiasmus gilt den Praktiken im Kleinen, Mikrostrukturen oder der Herstellung von Knotenpunkten in der lokalen Struktur. Um das, was ich hier sage, zu beweisen, muss man nur die Posts dieses wundervollen Blogs lesen. Zumindest für mich ist klar, dass es einen kleinen Unterschied in der Rhetorik gibt: Wir wollen nicht die Welt verändern, wir wollen mit kleinen Stückchen dazu beitragen, und wir wollen es jeder und jedem selbst überlassen, ihren und seinen Part in einer globalen (Un)ordnung zu übernehmen. Es gibt keinen Grund, warum diese (Un)ordnung teleologisch auf irgendein perfekten Endzustand ausgerichtet sein sollte. Ohne das weiter auszuführen zu wollen, könnte man sagen, dass man möglicherweise mehr erreicht, wenn man weniger umfassend agiert. Es ist keine Frage des Alters, sondern der Haltungen und – im Fall unseres jüngst begonnenen 21. Jahrhunderts – der Tendenzen. In diesem Sinne bin ich stolz darauf, Teil dieser Generation zu sein. Schon der Dichter Fernando Pessoa hatte dafür kluge Worte gefunden und mit dem folgenden Zeilen verabschiede ich mich von meinen Landsmännern und –frauen des Blogs und wünsche euch alles Gute, bis uns der Zufall wieder zusammen bringt, was er tun wird, in den nächsten Komplizenschaften:

Du redest von Zivilisation, und davon, dass es nicht sein darf
oder nicht so sein darf
Du sagst, dass alle leiden, oder die Mehrheit aller,
Weil die Dinge unter den Menschen so sind wie sie sind.
Du sagst, wenn sie anders wären, würden sie weniger leiden
Du sagst, wenn sie so sein würden, wie du es gern hättest, wäre es besser.
Ich höre dir zu, ohne dich zu hören.
Wenn die Dinge anders wären, wären sie anders: das ist alles.
Wenn die Dinge wären, wie du sie gern hättest, wären sie so, wie du sie gern hättest.
Ach, du und all diejenigen, die ihr Leben damit zubringen, die Glücksmaschine erfinden zu wollen!

Übersetzung: Anne Becker

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Globalisierung: Für Kuba zutreffend? http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/globalisierung-fur-kuba-zutreffend/ Wed, 22 Sep 2010 15:14:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2057 Das Wort Globalisierung ist auf Kuba doppeldeutig. Wir haben sicherlich nicht diese in vielen Ländern vorzufindende hybride Wirtschaftsform, die ein allgemein anerkanntes Kennzeichen der Globalisierung ist. Eigentlich haben wir gar keine Wirtschaft. Auf Kuba war das lange ein verbotenes Wort. Zunächst einmal deshalb, weil in der von der Kubanischen Revolution geschaffenen Staatsform der Staat die Verantwortung für die Wirtschaft übernahm. Es ging darum, ein Modell für ein zukünftiges Land aufzubauen, oder besser gesagt, für eine zukünftige Welt. In diesem Modell war, wie in jedem Modell, die Wirtschaft grundlegend.

Die Konsequenz? Heute haben wir einen Expräsidenten, einen historischen Mythos und einen halbwegs linksradikalen Dinosaurier – Fidel Castro, jawohl – der in einem Interview zugibt, dass das Modell des kubanischen Sozialismus nicht sonderlich gut funktioniert. Auch wenn er später die Aussage zurücknahm, steht diese Erklärung doch sehr offensichtlich im Zusammenhang mit den neuen wirtschaftspolitischen Maßnahmen von Präsident Raúl, seinem Bruder, in denen zum ersten Mal seit 50 Jahren nicht nur das Privateigentum wertgeschätzt wird, sondern auch über Massenentlassungen Anreize für die private Akkumulation geschaffen werden. Wie spiegelt sich das im Alltag wider? Sagen wir mal so, dass die Globalisierung der Wirtschaft eine Legende ist, über die ich so viel gehört habe, dass ihr Einfluss auf die Wirklichkeit dem Einfluss der Legende vom Weihnachtsmann gleicht…

Ein weiteres Kennzeichen der Globalisierung: die Zunahme der Migrationsbewegungen. Im Fall von Kuba hat auch hier der nationalistische-kommunistische-sozialistische Staat (das waren die verschiedenen Bezeichnungen des revolutionären Prozesses) unter je unterschiedlichem Vorzeichen, in verschiedenen Kontexten und zu sehr umstrittenen Bedingungen massive Auswanderungswellen angestoßen. Zugleich wurden dem normalen kubanischen Staatsbürger Auslandsreisen verboten. Die Ausreiseerlaubnis – und die Einreiseerlaubnis für den emigrierten Kubaner – machten die Insel zu einem gigantischen Gefängnis, dessen Außenmauer das Meer war. Also, … das mit der Migration ist ein delikates Thema für jeden Kubaner und weit vom modus vivendi eines privilegierten Bürgers der Ersten Welt entfernt.

Zu guter Letzt betet die Propaganda der neuen, vom Norden gehätschelten Ideologie der – Globalisierung (welche andere hätte es sein können? ) – vor, dass jeder von uns ein Mosaik sei. Nun gut, von Lateinamerika aus betrachtet würde die Sache anders aussehen oder sieht sie anders aus… Die Befreiung unserer Länder von der Kolonialherrschaft wurde auf der Basis des Ausschlusses vieler Teile des kontinentalen Mosaiks errungen. Die Ureinwohner, Schwarzen und Chinesen und andere mehr wurden innerhalb jedes Landes an die Ränder einer kreolischen Gesellschaft gedrängt, die sich als weiß und europäisch verstand.

Gegen Ende dieses Prozesses fingen viele „Ethnologen“ an – auf Kuba haben wir Fernando Ortiz –, über Synkretismus, Transkulturalisierung, letztlich über kreuz und quere Mischungen zu sprechen. Jedoch hat dieses Bestreben, alle Teile des Mosaiks als Zutaten ein und der selben Suppe zu verstehen, etwas sehr Trügerisches und Vorgegaukeltes. Es handelt sich um eine Form des Einschluss ohne einzuschließen: Was schließen wir ein, wenn alles schon da ist? Die Entwicklungslinie dieses Denkens – welches positivistische Züge trug – reicht bis ins 20. Jahrhundert und fand Eingang in die Kubanische Revolution. Und zwar in dem Moment, als diese auf einzigartige Weise erklärte, alle Minderheitenorganisationen des Landes auflösen zu wollen und jede Diskriminierung auf Grund der Hautfarbe zu verbieten, indem sie einerseits eine Politik der positiven Diskriminierung ins Leben rief und anderseits verlautete, dass ein Revolutionär nicht rassistisch sein könne. Es würde eine gute Lektion in Politik abgeben, würde man analysieren, wie die Kubanische Revolution die Differenz zwischen dem „Sollen“ und dem „Sein“ ideologisch gehandhabt hat: leider aber eine Lektion in Politik, die dazu führen würde, über den „Multikulturalismus“ zu sprechen, diese globalisierte Etikette.

Übersetzung: Anne Becker

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Heute Bürger, morgen Fremder? http://superdemokraticos.com/themen/burger/heute-burger-morgen-fremder/ Thu, 09 Sep 2010 07:48:29 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1785

Cover, Sherry Yorke: Multicultural Literature. Foto: Linworth Books

Mein Land ist Kuba, aber heute bin ich zu Besuch in den USA, um genauer zu sein, in Miami. Eine erstaunliche Stadt, voller Latinos – Immigranten aus Lateinamerika – und mit einem Klima, das dem von Havanna ähnelt. Die Kategorie Latino scheint nur hier Sinn zu machen oder im Rest der USA und Kanada. Latino ist eine Etikettierung, die ich politisch sehr produktiv finde, da sie von den kulturellen Unterschieden und Ähnlichkeiten Zeugnis ablegt, das heißt, den Unterschiedlichkeiten und Ähnlichkeiten zwischen dem Nordamerikanischen oder dem, was als Gringo bezeichnet wird, und den verschiedenen Kulturen Lateinamerikas.

Es ist nicht so, dass alle Latinos in den USA denselben Umgang mit dem Nordamerikanischen führen würden, natürlich nicht. Die Kubaner, die Puertorikaner, die Mexikaner – die in Texas am zahlenstärksten sind – die Kolumbianer, die Menschen aus der Dominkanischen Republik, unter vielen anderen, eignen sich auf verschiedene Weise den american dream an. In Miami, zum Beispiel, scheinen die Kubaner tendenziell nach einem wirtschaftlichen american dream zu streben und ihn zu erreichen. Ich weiß von Puertorikanern in manchen Gegenden dieser Stadt, die in Vierteln wohnen bleiben, die als arm und schwarz gelten. Ersteres kann man dort mit eigenen Augen erfahren, zweiteres hat mit der Stellung zu tun, die bestimmte kulturelle Identitäten innerhalb der Vorstellung des Nordamerikanischen innehaben, die von dem Attribut „white people“ dominiert wird, was zugleich auf eine ethnische wie eine politisch-ökonomische Überlegenheit hinweist. Mit „white people“ meint man Angelsachsen oder deren Nachfahren. Alles, was da nicht reinpasst, fällt bezeichnenderweise aus der Kategorie Weiß heraus – was uns in Erinnerung ruft, dass die Kategorie Rasse zur Zeit der Kolonisierung Amerikas geboren wurde.

In einem informellen Treffen mit Studenten und Bibliotheksangestellten der Universität von Miami traf ich auf junge Leute, die aus Puerto Rico, Mexiko, Kolumbien, Haiti, Kuba… ausgewandert waren. Alle lebten schon seit Jahren in den USA, und ich hatte den Eindruck, dass sie von ihrem Ursprungsland wie von einer entfernten Vergangenheit sprachen oder wie von einem Ort, den man verlassen musste, weil die USA ein besserer Ort seien. Sie fragten mich, ob ich nicht lieber hier bleiben würde, statt nach Kuba zurückzugehen. Als ich verneinte, fragten sie mich, warum.

Warum würde jemand in ein Land zurückgehen wollen, in dem die wirtschaftliche und soziopolitische Lage instabil ist oder  gar einem Alptraum gleicht – in dem Sinne, dass sich das Land in einem Teufelskreis ohne sichtbaren Ausweg zu befinden scheint? Meine Antwort liefert keine Begründung, sie basiert auf Intuition. Auch wenn ich es für wichtig erachte, die Latino-Identität als ein Gegenmittel zur  unheilbringenden Ideologie der bis zu einem gewissen Grad hinfälligen nationalen Identität zu stärken, möchte ich zurückkehren. Denn ich erachte es für wichtig, sich in der Zivilgesellschaft jener Länder einzubringen, die zurück gelassen werden, wenn die Menschen auswandern. Ich finde es wichtig, Migration weniger als Auswanderung aufzufassen – Kuba und jedes andere  lateinamerikanische Land sind so an Abschiede und an durch Ozeane getrennten Familien gewöhnt – denn als ein Hiersein, während man dort ist und viceversa. Nicht gen Norden oder nach Europa als einem Vorbild zu schauen, sondern als ein Beispiel dessen, was wir nicht sind und nie sein werden. Ich schlage also das Reisen als einen Lernprozess vor. Damit meine ich nicht eine Auswanderung, um eine neue nationale Identität oder eine doppelte Nationalität zu erlangen, sondern den Versuch, die sich selbst überholte oder im Wandel begriffene – wann war das in Lateinamerika nicht der Fall? – nationale Identität  abzulegen und zu einer neuen Form der Idenität zu gelangen. In dieser Identität kreuzt sich das Erfahrungswissen, das Wissen, was aus nichts anderem als aus der Erfahrung gewonnen wird… , mit den eigenen und fremden kulturellen Praktiken.

Ich schlage vor, das Fremdsein als eine Form des bürgerschaftlichen Handelns zu praktizieren. Meine Heimat, meine Stadt, befinden sich vor allem an Schnittstellen. Und ich glaube, damit bin ich nicht die einzige…

Übersetzung: Anne Becker

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Kubanische Transition http://superdemokraticos.com/themen/burger/kubanische-transition/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/kubanische-transition/#comments Wed, 25 Aug 2010 07:04:26 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1099 Kuba befindet sich in der Transition. Radikale Transformationen im Modus Operandi der Politik der Kubanischen Revolution. Raúl Castro, Präsident des Staats- und Ministerrat, stellte in seiner Rede zum Abschluss der Legislaturperiode der Asamblea Nacional del Poder popular (Nationalversammlung der Volksmacht) einige seiner Reformpläne vor. Um den Ton seiner Vision eines anderen Kubas zu markieren, ersetzte er am Ende seiner Rede das übliche Patria o Muerte: Venceremos (Vaterland oder Tod: Wir werden siegen) durch eine knappe Danksagung an das Publikum.“

Das war der erste Absatz eines verworfenen Entwurfs für einen Konferenzvortrag vor einem hauptsächlich nordamerikanischen Publikum beim Avant Writing Symposium der Ohio State University im August 2010. Wie soll man Kuba in 30 Minuten erklären? Während ich schrieb, versuchte ich, die offensichtliche Antworte beiseite zu schieben, die erste die einem in den Sinn kommt: unmöglich.

Mein Vortrag ist über Literatur. Aber was kann man über Kuba in welchem Bereich auch immer sagen, ohne über Politik zu sprechen? Ich kehrte noch einmal zu meinem Entwurf zurück. Es musste doch möglich sein, ich würde es erneut versuchen. Hier ist der neue Entwurf:

„Seit den 70er Jahren kann man sehr genau den Widerstreit zwischen der offiziellen kubanischen Kultur, die in den Medien und im öffentlichen Raum gezeigt werden darf, und den kulturellen Bewegungen, die sich weigern, sich an offizielle Vorgaben zu halten oder die nur vorgeben, sich daran zu halten, und von der revolutionären Kulturpolitik zurückgewiesen werden, erkennen.  In diesem Zusammenhang möchte ich auf einige alternative Initiativen eingehen, wie etwa auf die Cátedra de Arte conducta (Lehrstuhl für Verhaltenskunst) von Tania Brugueras, das Projekt Contexto (Kontext) von Desiderio Navarro, die unabhängige Galerie Aglutinador Laboratorio (Labor Bindemittel) von Sandra Ceballos und das neuere Gegenstück namens Xoho des jungen Rubén Cruces, so wie das Kollektiv OMNI Zona Franca (Freie Zone), das von den staatlichen Behörden geschlossen wurde, als es sich zu einem öffentlichen kulturellen Raum entwickelte.“

Ich halte die Finger auf meiner Tastatur an. Zweifel überkommen mich. Vermittelt der Ausspruch „intervenido por las autoridades“ (von staatlichen Behörden geschlossen) einen Polizeieinsatz  im Stil offizieller Absperrungen mit Polizeikette, Uniformen und schwerem Geschoss? Ich glaube nicht … Man müsste genauer werden, oder vielleicht, die Bilder zeigen. Und letzten Endes: Was würde es bringen? Die Fotos, wenn auch beeindruckend, sagen nichts über die Gründe. Ausländern muss man stets eine lange, sehr lange Geschichte erzählen, um ihnen den „Fall Kuba“ verständlich zu machen, oder genauer gesagt, um ihn wenigstens oberflächlich zu veranschaulichen. Das Gegenteil kommt vor, ist aber sehr selten. In der Mehrzahl merkt man, wenn man Ausländer befragt, dass sie rein gar nichts verstehen.

Ich gebe auf. Ich trinke einen Schluck Tee. Ein Schluck Tee kann immer Wunder der Veränderung bewirken, zumindest im Magen, der letztendlich eine der Hauptzonen jeglichen kulturellen Lernens darstellt. Ich tippe weiter in die Tasten, und ich lasse es zu, dass die erhofften Schlussfolgerungen fließen:

„Die Spannungen haben derzeit auf der Insel zugenommen. Wir finden heute im kubanischen Panorama selbst gebastelte Aufnahmestudios in Privathäusern, unabhängige Produktionsfirmen, die jungen oder herangehenden Künstlern illegal ihre Dienstleistungen anbieten.“

Das klingt gut, zumindest gibt es Hoffnung. Muss ich sagen, dass ich zu jenen jungen Menschen auf Kuba gehöre, die in ihrer Arbeit und ihrem Leben von der Hoffnung motiviert sind? Nein, lassen wir sie … Zu erklären, worin diese Hoffnung besteht, wäre blöder. Gehen wir über zur Schlussfolgerung.

So sieht’s aus, mein letzter Schluck. Der Tee ist kalt geworden. Ich muss noch einen machen. Ich lese meine Zeilen noch einmal, bevor ich mich von meinem Stuhl erhebe. Was für ein Vorträgchen. Transition, politischer Konflikt vs. Gesten alternativer Kultur, Hoffnung … Was für ein Blödsinn. Ich lösche alles und fahre den Computer herunter. Ich werde ein wenig schlafen. Es ist zwei Uhr nachts, und obwohl der Konferenztermin naht, schiebe ich das Schreiben meines Vortrags um einen weiteren Tag auf.

Übersetzung: Anne Becker

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A Cuba that won’t fit into History books http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/a-cuba-that-won%e2%80%99t-fit-into-history-books/ Mon, 09 Aug 2010 08:04:23 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=690

A different image of Havana. Photo: Lizabel Mónica

When the Word “Cuba” arises, it’s easy to think in USA’s economic embargo against the island, in the Cochinos’ Bay or Playa Girón battles (“first defeat of imperialism in America”, states offical propaganda), in the Castro brothers and in organopónicos. For some, Cuba still represents that left-wing icon where loads of tourists, impelled by an excessive enthusiasm, experiment an exciting approach to what’s somehow announced in Che Guevara’s T-shirts. Some others keep however a conviction: it’s a red and populist nightmare urgently needing capital injection. Truth is: for me (born when the Cold War started getting progressively warmer, raised up as a teenager in between disappointment and dispair –those seem to be the two new big rules of civic coexistence, in substitution of the common superior point of view of proletarian utopia-, and finally an adult just in the 21st Century), there’s no sense at all in my parents’ enthusiastic beliefs or in the epic and watered-down vision of a story quickly loosing credibility.

To state that national history promoted from a state, is not absolutely true is like agreeing on that we human beings have changed the planet’s ecosystem: both are irrefutable truths, and as such they have to be kept half hidden, half visible. Anyway, it’s not something about certainties, but about which policies are being applied. The disapproving look from state’s guards taught me mainly how to negotiate with my own opinion about facts. Here an excerpt. Cuba was the last colony that reached independence (end 19th Century), arriving just on time to be a neo-colony of the United States of America. After Gerardo Machado (who resigned from his post as President in 1933 due to demonstrations), all legal bonds to USA were revoked, and the nation just went through other governments until Fulgencio Batista’s dictatorship came with blood. He was defeated by a guerrilla war operated from Sierra Maestra and by Fidel Castro. The victory of the Cuban Revolution from 1959 was, until then, a national coalition of different opponent groups and a movement supported from the middle class; but it was progressively fragmented, depurated and finally turned into a monolithic whole, which took its political final path on April 16th 1961, when Fidel Castro declared “the socialist nature of the Revolution”, a few minutes after bombers played their prelude at Playa Girón. From there onwards, all had to be submitted to this political manifesto.

I’ve learned that History sounds different when it comes from a Spaniard, different in turn when it has a North American voice, and definitely racy when it comes from a carefree statement of a Cuban. And it develops unsuspected nuances when told from an immigrated to that parallel Cuban capital, geographically overseas: Little Havana. History will be different according to who tells it. Those who survived, who won, who have the power in their hands are the ones telling us how things happened. Now, behind the pen, there’s a Cuban woman (anybody saying that genre has nothing to do with geopolitical issues, please have a look in this Caribbean island through the Internet, they’ll find a more forceful answer than my arguments); a white Cuban woman (in this case I would recommend to add the cultural and imaginary category “race” when browsing); professionals’ daughter and myself a professional (you might have noticed that Cuban bloggers are mainly young and educated bachelors, no matter if independent or regime-supported); and not a resident in a poor, outlying area of Havana, but neither in privileged city downtown (nevertheless, living in Havana is already a downtown statement, try to add while browsing “Cuba+sex+race” the simple, and apparently innocent word “city”: almost every blog, specialized and institutional websites are generated from the capital, while upon the rest of the country lays a thick blanket of silence, that closes the road in bit-code). Of course, a complete profile story won’t be here reflected.

My first History lesson, which I remember with affection, was when a teacher told me: “relax and leave the books there, we’ll do a time warp”. I once found an odd passage in an alternative travel guide: “Cuba is a unique country with a lot of distinctive features. You don’t need just a passport, money and a tough backpack to travel here; you also require flexibility, creativity, a good mood, patience and a healthy feeling of adventure…”. Curious thing about History: it doesn’t talk just about the past, because it has the ability to transform radically our present’s experience. Do you want to know Cuba? Welcome onboard, bring your luggage, let your books at home… And if you’ve got any questions, do not hesitate to ask the Captain, but ask the boiler-man too.

Translation: Ralph del Valle

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Zweiter Sommersalon am 29. Juli 2010 – Eine Sommernacht mit Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com/editorial/zweiter-sommersalon-%e2%80%93-eine-sommernacht-mit-los-superdemokraticos/ Wed, 21 Jul 2010 17:04:41 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=500 Eines der besten lateinamerikanischen Talente ist das Improvisationstalent: unter wenigen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eine Lösung finden. Lateinamerikanische Künstler stellen Bücher aus Karton her oder machen Theater mit Plastikflaschen, die lokalen Straßenmärkte sind voller Spielzeug und anderem Kram, den in Deutschland schon lange niemand kennt. Lateinamerikanische Kulturen sind nicht subventioniert, kreative Räume entstehen aus eigener Kraft. Die Mehrheit der lateinamerikanischen Künstler weiß, dass es unrealistisch ist, von der Kunst zu leben, aber egal… So ist nun die lateinamerikanische Kultur, die sich improvisierend über die Welt verteilt dank der Menschen, die sich auf diesen Weg begeben haben.

In unserem zweiten Sommersalon möchten wir die Initiativen einer neuen lateinamerikanischen Generation in Berlin vorstellen, die versucht, die Stadt ästhetisch zu unterstützen. Sei es, indem sie gegen absurde und unflexible Baurichtlinien kämpft, die verhindern, dass ein langweiliger Betonkasten etwas Farbe bekommt, sei es, indem sie die traditionelle Musik eines Landes wieder aufleben lassen, in diesem Fall die Musik Kubas, oder sei es, indem sie die mexikanische Küche innovativ erneuern.

Am Donnerstag, 29. Juli, ab 21 Uhr laden wir herzlich dazu ein, mit uns eine Sommernacht zu verbringen, in dieser Zeit, in der die Stadt fast leer ist. Kommt in die Pulquería, in ein neues mexikanisches Restaurant am Spreewaldplatz.

Den Abend einleiten wird das Projekt Ganga. Die Musiker fusionieren traditionelle Rhythmen mit Jazz-, Reggae-, Pop- und Funkelementen. Ganga sind beeinflusst von Trova Cubana, einer Musikrichtung, die seit den 1960ern versucht, wie „Troubadoure“ politische und poetische Aussagen zusammenzubringen. Später legt Roque Rodriguez (Colectivo Chupacabra, Chile / Funk, Soul, House) auf, die perfekte Tanz-Begleitung. Sie wird uns durch diese laue Nacht im subtropischen Berlin führen.

Donnerstag, 29. Juli
La Pulquería, Spreewaldplatz
21 Uhr

Eintritt frei

http://www.lapulqueria.de
www.superdemokraticos.com

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Das Kuba, das nicht in die Geschichtsbücher passt http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/das-kuba-das-nicht-in-die-geschichtsbucher-passt/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/das-kuba-das-nicht-in-die-geschichtsbucher-passt/#comments Thu, 24 Jun 2010 12:14:16 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=326

Ein anderes Bild von Havanna. Foto: Lizabel Mónica

Für Zaida, Professorin für Geschichte

Immer wenn man „Kuba“ hört, denkt man an das US-amerikanische Wirtschaftsembargo gegen die Insel, an die Schlacht in der Schweinebucht, an Playa Girón – „die erste Niederlage des Imperialismus in Amerika“, wie es die offizielle Propaganda vorbetet –, an die Castro Brüder und die organopódicos (städtische, landwirtschaftlich genutzte organische Gärten). Für manche repräsentiert Kuba die Ikone der Linken und viele Touristen, die von einer überschwänglichen Begeisterung angetrieben werden, versuchen sich aufgeregt dem zu nähern, was für sie das Bild Che Guevaras auf ihren T-Shirts anzudeuten scheint. Andere wiederum sind weiterhin überzeugt, dass Kuba ein roter, populistischer Alptraum ist und dringend eine Kapitalspritze braucht. Für mich hingegen als eine Person, die zu einem Zeitpunkt geboren wurde, als sich der Kalte Krieg zunehmend entspannte, deren Jugend davon geprägt war, das Desillusionierung und Verzweiflung die zwei neuen Regeln des zivilgesellschaftlichen Zusammenlebens zu sein schienen – und so den gewöhnten Triumphdiskurs der proletarischen Utopie ersetzten -, und die schließlich im 21. Jahrhundert volljährig wurde, machen die enthusiastischen Glaubensbekenntnisse meiner Eltern oder die episch geschönte Vision einer immer unglaubwürdigeren Geschichte kaum noch irgendeinen Sinn.

Zu sagen, dass die vom Staat proklamierte Geschichte der Nation nicht für bare Münze genommen werden kann, ist so, wie zu sagen, dass die Menschen die Veränderungen im Ökosystem der Erde mit verursacht haben: Beides sind unbestreitbare Wahrheiten und als solche müssen sie halb ersichtlich sein und halb verhüllt bleiben. In beiden Fällen ist es keine Frage von Gewissheiten, sondern eine Frage, wie damit jeweils politisch umgegangen wird. Der strenge Blick der Staatswächter hat mir vor allem beigebracht, mir meine eigene Meinung über Ereignisse zu bilden. Hier eine kleine Zusammenfassung: Kuba war Ende des 19. Jahrhunderts die letzte Spanische Kolonie, die unabhängig wurde, gerade zur rechten Zeit, um sich in eine Neokolonie der USA zu verwandeln. Nachdem 1933 Präsident Gerardo Machado angesichts von Volksaufständen ins Ausland floh, wurde die formale Unterordnung unter die USA aufgehoben und das Land hangelte sich von einer Regierung zur nächsten, bis Fulgencio Batista schließlich eine blutige Diktatur errichtete. Über diese Diktatur siegten die Guerillakämpfer in den Bergen der Sierra Madre unter der Führung von Fidel Castro. Bei dem Bündnis, das der Kubanischen Revolution 1959 zum Sieg verhalf, handelte sich zunächst um eine nationale Bewegung von verschiedenen, diktaturkritischen gesellschaftlichen Gruppen, die von der heimische Bourgeoisie gestützt wurde. Doch nach und nach zersplitterte die Bewegung und verlor durch „Säuberungen“ ihren heterogenen Charakter, avancierte zu einer monolithischen Einheit und nahm am 16. April 1961 – mit Fidel Castros Verkündung des „sozialistischen Charakters der Revolution“ – ihre endgültige politische Richtung ein, nur wenige Minuten nachdem die Bombardierung von Playa Girón begonnen hatte. Ab dem Moment musste sich alles diesem Regierungsprogramm beugen.

Ich habe gelernt, dass die Geschichte jeweils anders klingt aus dem Mund eines Spaniers, aus dem Mund eines Nordamerikaners und definitiv pikanter aus dem losen Mundwerk eines normalen Kubaners auf der Straße. Ganz zu schweigen von den unerwarteten feinen Unterschieden, wenn es sich um einen Kubaner handelt, der in die kubanische Hauptstadt am anderen Ufer jenseits unserer geographischen Grenzen ausgewandert ist: Little Havanna. Geschichte hängt immer davon ab, wer sie erzählt. In der Regel behalten es sich die Überlebenden, die Sieger, die Machthaber vor, uns zu sagen, wie sich denn alles eigentlich zugetragen hat. In diesem Moment verbirgt sich hinter der Feder eine kubanische Frau (wer sagt, das Geschlecht habe wenig mit geopolitischen Anliegen zu tun, der soll die karibische Insel im Internet suchen; er wird eine weitaus klarere Antwort finden, als meine Argumente hier liefern können), eine weiße Frau (ich empfehle in diesem Fall, in der Suchzeile die kulturelle und imaginäre Kategorie „Rasse“ mit einzugeben), Tochter von Akademikern und selbst Akademikerin (Sie werden sicher bemerkt haben, dass die kubanischen Blogger in der Mehrzahl sehr gebildete Mädels und Jungs sind – sowohl die unabhängigen wie die vom Regime beauftragten), und keine Bewohnerin der marginalisierten Randbezirke von Havanna, aber auch nicht wohnhaft im privilegierten Zentrum der Stadt (obwohl allein schon in Havanna zu wohnen, bedeutet, aus dem Zentrum zu schreiben, was überprüft werden kann, indem man den zu Suchbegriffen Kuba+Geschlecht+Rasse das einfache, scheinbar unschuldige Wort „Stadt“ hinzufügt: fast alle Blogs, fast alle spezialisierten und institutionellen Internetseiten werden aus der Hauptstadt lanciert, während der Rest des Landes in einem vollständigen, hartnäckigen Schweigen verschwindet, das uns den Zugang zu ihm in Bit-Codes verweigert). Aber es wird keine formalisierte Geschichte dieser Zeilen geben.

Die erste Lektion in Geschichte, an die ich mich mit Freuden erinnere, erhielt ich von einer Lehrerin, als sie zu mir meinte: „Entspann dich und lass die Bücher, wir machen jetzt eine Zeitreise.“ Ich möchte hier noch eine Passage zitieren, die ich in einem alternativen Reiseführer gefunden habe: „Kuba ist ein einzigartiges Land mit vielen verschiedenen Facetten. Um dort hinzureisen, bedarf es nicht nur eines Passes, Gelds und eines guten und widerstandsfähigen Rucksacks, es bedarf auch der Flexibilität, der Kreativität, des Sinns für Humor, der Geduld und eines gesunden Gespürs für Abenteuer…“ Das Kuriose an der Geschichte ist, dass sie sich nicht nur mit der Vergangenheit beschäftigt. Denn sie ist zugleich auch in der Lage, unsere heutige Erfahrung drastisch zu verändern. Möchten Sie Kuba kennen lernen? Willkommen an Bord, bringen Sie Ihr Gepäck mit, lassen Sie Ihre Bücher zu Hause…Und falls Ihnen etwas unklar ist, zögern sie nicht, den Kapitän zu fragen, aber fragen sie auch den Heizer.

Übersetzung: Anne Becker

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