Buchmesse – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Messe-Party-Guide http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/messe-party-guide/ Fri, 02 Dec 2011 19:19:34 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6102

Wir alle wissen, dass Buchmessen gesellschaftliche Veranstaltungen sind. Klar, es geht bei diesen Branchentreffs in mehr oder weniger klimatisierten Hallen rein äußerlich um das Verlagsbusiness und vor allem um Bücher und um die Bücher-Menschen, die so genannten Bibliophilen (denen hier auf der Feria del Libro Guadalajara sogar ein eigener Preis verliehen wird, diesmal ging die „Homenaja al Bibliófilo“ an den 75-jährigen Mexikaner Ángel García Lascuráin, der Flugzeuge liebt und eine riesige Bibliothek angesammelt hat, unter anderem mit Erstausgaben von Ernest Hemingway). Aber auf den Messen, die ich kenne, findet der wahre Austausch nachts statt.

In Frankfurt, auf der größten Messe der Welt, laden Verlage zu teuren Empfängen in das dick mit Teppich ausgelegte und holzgetäfelte Hotel Frankfurter Hof. Die Einladungskarten dazu enthalten noch nicht einmal eine Adresse; wer eingeladen ist, war schonmal da, und Dekadenz in Deutschland gibt sich bescheiden, ist Kaschmirpulli ohne Logo. Auf solche Parties werden sowieso die nur bekannte Autoren, also die mit imageverbessernden Mediengesichtern, eingeladen. Dann gibt es die Inner-Circle-Parties bei den in der Stadt ansässigen Verlagen, etwa in der Suhrkamp-Villa, oder die Innenhof-Stehparty unter Heizpilzen beim S. Fischer Verlag in Sachsenhausen mit wenig Essen, aber viel, viel Alkohol. Hier wandern Visitenkarten hin und her, Interviewtermine werden abgesprochen, Preisträger kritisiert, keine Musik. Schließlich die für alle offene Party der Jungen Verlage wie Blumenbar, kein und aber, kookbooks, mairisch, Onkel&Onkel, Verbrecher Verlag, zu der alle jüngeren Autoren und Verleger gehen, wo man sich wie immer wie in Berlin fühlt, weil fast alle Autoren aus Berlin anwesend sind und sich an der Bier- oder Bionadeflasche festhalten. Visitenkarten tauscht hier niemand aus, höchstens Facebook-Namen, getanzt und geknutscht wird ab 2 Uhr nachts wild zu Hiphop, Disko, Abba, je schlechter die Musik, desto besser.

In Guadalajara scheint auch jeden Abend eine Fiesta stattzufinden. Das ist schonmal gleich. Aber einiges ist auch anders: Die Adressen wandern in Gesprächen und auf Zetteln hin und her, eine Einladung braucht man selten, vielleicht noch für die erste, die FIL-Eröffnungsparty auf einem parkähnlichen Gelände, auf das ein Riesenfestzelt gestellt wurde, flankiert von Bars und Imbissständen (Tacos, Süßigkeiten). Alles kostenlos, der Dresscode teuer-protzig, mit wehenden Stoffen, üppigem Schmuck und Makeup, hohen Absätzen. Eine der bekanntesten Cumbiabands, Sonora Dinamita aus Kolumbien, spielt und tanzt stundenlang vor einem blinkenden, überfüllten Disco-Dancefloor. Die Tische – mit Privatkellner – sind von einzelnen Mäzenen gebucht, kein Wunsch bleibt unerfüllt, alles im Überfluss vorhanden, die Reichen sind unter sich. Und es fällt auf: Die Deutschen trauen sich viel zu selten, ihre Hüften zu schwingen. Ähnlich ist es bei der Party des Verlags Veracruz, bei dem eine Salsaband auftritt, bei der „Party der Journalisten“ oder bei der Superrockdisko beim jungen Verlag Sexto Piso: Die Latinos tanzen, sind auch bereit, ein paar Grundkenntnisse zu zeigen, die Deutschen bleiben ihrem Klischee treu, schauen lieber zu oder wanken hin und her wie Bäume im Wind.

Fazit: Messe-Party heißt in Guadalajara vor allem lange und zu zweit tanzen, das müssen die Deutschen lernen. Vielleicht sollten sie das Bier, das jeden Tag um 16 Uhr im deutschen Pavillon – Achtung: Klischee-Alarm – ausgeschenkt wird, bei den Parties trinken?

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Das Tages-Programm auf der Messen in Guadalajara hat sich zum Glück dem Nacht-Rhythmus bereits angepasst: Die meisten Veranstaltungen der spanischsprachigen Autoren beginnen ab 17 Uhr. Genug Zeit, um auszuschlafen, zu frühstücken und dann direkt von der Messe zur nächsten Party zu pendeln. Bis heute Abend!

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Zum Rhythmus von Cumbia und verirrten Kugeln http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/espanol-a-ritomo-de-cumbia-y-balas-perdidas/ Sat, 26 Nov 2011 23:22:54 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5960

 

“Als Schriftsteller ist Fernando Vallejo auch ein wunderbarer Musiker”

Juan Cruz in seiner Kurzbiografie über Fernando Vallejo

Zu den Persönlichkeiten, die sich auf der 25. Internationalen Buchmesse in Guadalajara, der FIL, einfinden, gehören auch die beiden Literaturnobelpreisträger Herta Müller und Mario Vargas Llosa, sowie der diesjährige Preisträger der FIL in romanischer Sprache: Fernando Vallejo. Der beste von allen Vorträgen zur Preisverleihung war zweifelsfrei die des angesehenen spanischen Journalisten Juan Cruz Ruiz, neben dem von Vallejo selbst. Juan Cruz Ruiz‘ Kurzbiografie über den kolumbianischen Schriftsteller machte dem Autor von „Virgen de los Sincarios“ (dt. Die Madonna der Mörder) oder „El Desbarrancadero“ (dt. Der Abgrund) alle Ehre und gleichzeitig das Publikum glücklich.

Während sich Deutschland als Land der Ideen präsentierte, in dem die Wissenschaft und der akademische Austausch eine wesentliche Rolle spielen, ist für die Mexikaner und die Latinos, die wir uns mit den Mexikanern identifizieren können, die gleiche Augenhöhe und der Humor das Wichtigste am Austausch. Vielleicht, weil wir im Gegensatz zum Ehrenland gelernt haben, mit Humor unsere Realitäten zu überleben und anderen Menschen mit einem Lächeln zu begegnen.
Fernando Vallejo erhielt dieses Jahr den Preis nicht nur für sein vielseitiges und fantastisches Werk, sondern bestimmt auch, weil die Themen seiner Bücher direkt jenes Land berühren, das uns derzeit beherbergt. In den letzten fünf Jahren starben in Mexiko mehr als 58.000 Menschen, Opfer der Gewalt, des Krieges gegen die Drogenmafia. Es gibt niemanden, der wie Vallejo das Leid einer Gesellschaft beschreibt, die zum Rhythmus von Cumbia und verirrten Kugeln verblutet.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Offene Arme http://superdemokraticos.com/editorial/offene-arme/ Sun, 17 Oct 2010 13:41:38 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2992

Ich bin traurig. Die Superdemokraten verabschieden sich in ihren letzten Texten, ziehen Bilanz, grüßen sich gegenseitig und die Übersetzer, resümieren die Erfahrung, anhand vorgegebener Fragen in einem anonymen digitalen Raum als Individuum aufzutreten. Sie sind die aktiven gewesen in einem Dialog, der oft im Stillen verlief, beim Lesen, denn Leser, insgesamt 12.000, hatten wir! Sie waren die schweigenden Geister im Dunkeln des Cyberspace, denn oft kam auf die über 200 Essays, die jetzt in diesem Blog zu lesen sind, kein Echo zurück. Auch zwischen den deutsch- und den spanischsprachigen Autoren war es manchmal erstaunlich ruhig. Gemeinsam schweigen.

Ich bin mir dennoch sicher: Alle, die LSD genommen haben, haben ihre „Ichs durch ihre anderen dichs“ sehen können (Pedro Alexander). Das war kein Trip, das war kein Traum, das war eine traumhafte Versammlung von Ideen, Gefühlen, Visionen, eine „virtuelle geteilte Heimat“ (Liliana Lara), eine „Schreibübung“ als „erste Etappe“ (María Medrano) von ähnlichen intellektuellen Tauschrouten, die noch gebaut werden müssen. Wenn wir es geschafft haben, alte Machtstrukturen zwischen Europa und Lateinamerika für diese vier Monate aufzuheben, wenn ihr Menschen vermissen werdet, die ihr eines Tages zu treffen hofft (so wie ich!), dann glaube ich, dass diese globale Skypekonferenz, die wie eine kleine Buchmesse funktioniert hat, nicht abbrechen wird. Wir lesen und lieben uns weiter – und ich bin sicher, dass wir uns immer wieder begegnen werden. Wir werden uns an den offenen Armen und Augen erkennen. Denn ich bin optimistisch. Und wie Juan Gelman, der Shakespeare und Cervantes immer wieder liest, so wie Alan Pauls, der die Singleportionen im Kaiser’s, etwa „eine Scheibe Mozzarella“, wie Kunstobjekte liest, werde ich weiterlesen, wiederlesen, neulesen. Das ist kein Ende. Das ist ein Anfang von etwas.

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Die Bibliothek von Babel http://superdemokraticos.com/laender/bolivien/die-bibliothek-von-babel/ Wed, 13 Oct 2010 11:37:51 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2908
Die Frankfurter Buchmesse könnte der Bibliothek von Babel von Borges eigentlich sehr ähnlich sein, nur, dass man in diesem Fall von unendlichen Hallen spricht und nicht von Sechsecken und dass hier alle Exemplare, die berührbaren und die unberührbaren, zum Verkauf stehen. Hier ein bestimmtes Buch zu suchen, ist wie eine Nadel im Heuhaufen zu suchen. Und das Paradoxe daran ist, dass die weltweit größte Ausstellung von Verlagsneuheiten in einer Sprache stattfindet, die nur ein paar Millionen Menschen verstehen.

Bild von Paul Mollig

Selten habe ich mich so glücklich gefühlt, auf Deutsch lesen zu können. All die Jahre des Lernens, der Arbeit, haben es ermöglicht, meine Neugier unendlich zu machen. Genau wie in der Erzählung von Jorge Luís gibt es auch hier kein individuelles oder globales Problem, für das es keine eloquente Lösung gäbe. Von ranzigen Romanen für Mitglieder des Opus über japanische Mangas für große Kinder, die ihre auffälligen Kostüme in den Fluren spazieren tragen (Figuren, die ich in meiner Ignoranz auf den Namen Pokemons getauft habe) bis hin zu wahren Kunstwerken, die aus den entlegensten Ecken der Welt kommen.

Für einen durchschnittlichen Leser ist der erste Tag in diesem Labyrinth von unschätzbarem Glück. Die Habgier treibt einen zu einem verrückten Wettlauf durch die Gänge an, um Stunde für Stunde gedruckte Seiten anzusehen, Buchrücken, Titel, Wörter, dazu zu versuchen, all die Kombinationsmöglichkeiten, die das Alphabet bietet, zu betrachten. Am ersten Tag liegen alle auf der Lauer, in der Erwartung auf ihre Rechtfertigung zu treffen, auf jenes Buch, dass die passende Botschaft enthält und die persönliche Zukunft bestimmen wird. Das Gelände ist voller Eroberer oder offizieller Sucher, bewaffnet mit ihren Katalogen, die Geschäfte abschließen, während sie auf fettigen Würstchen herumkauen, die so teuer sind, dass man ihr Gewicht in Gold aufwiegen könnte.

Am zweiten Tag verändern sich die Dinge, die ungestüme Hoffnung des Durchschnitts-Menschen wird durch die Beklommenheit ersetzt, durch die Erkenntnis, dass viele fundamentale Bücher in den Regalen verborgen sind. Und dass er möglicherweise niemals in der Lage sein wird, die Buchrücken und die Klappentexte von all diesen Büchern zu lesen, die wichtig scheinen und unbeachtet vorüberziehen. Die Pokemons laden ab dem dritten Tag dazu ein, die Suche abzubrechen und sich ihrer naiven Bewegung anzuschließen, bei der die Worte fast gänzlich durch Bilder, durch Zeichnungen, ersetzt werden und der Sinn seine gesamte Wichtigkeit verliert.

Unter denen, die vier Tage am Stück auf der Messe überlebt haben, gibt es Stimmen, die behaupten, dass die Bibliothek keinerlei Sinn ergibt, dass der Unsinn der Industrie zu einem unverantwortlichen Gebrauch von Tausenden und Abertausenden von Millionen an gedruckten Blättern führt, die den Bäumen gewaltsam abgerissen wurden. Am fünften Tag kann bekanntermaßen niemand mehr eine einzige Silbe formulieren, die nicht erfüllt ist von der Zärtlichkeit und den Ängsten der uns vorangegangenen Menschheit, auch wenn die blonden Konzern-Klone versuchen, uns mit ihren Pressemitteilungen vom Gegenteil zu überzeugen. In Frankfurt, wie auch auf dem restlichen Buchmarkt, sieht man die Innovationsmöglichkeit in den Kombinationen des schon Existierenden und der tatkräftigen Arbeit mit den Freunden ausgestellt. Ich werde niemals aufhören, ein Fan der unabhängigen Verlage zu sein.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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„Weder bin ich ein Star, noch seid ihr nur das Publikum“: Interviews mit Fabián Casas http://superdemokraticos.com/laender/argentinien/espanol-ni-soy-una-estrella-ni-vos-sos-solo-el-publico-entrevista-con-fabian-casas/ Mon, 11 Oct 2010 12:54:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2835

Fabián Casas wurde 1965 in Buenos Aires geboren. Er avancierte zu einem Vorbild der neuen Schriftstellergeneration für sein Land und für ganz Lateinamerika. 2007 wurde er in Deutschland mit dem Anna Seghers-Preis ausgezeichnet. Auf der Frankfurter Buchmesse stellte Casas seinen Gedichtband Mitten in der Nacht und seine zwei Erzählungen Lob der Trägheit gefolgt von Die Panikveteranen vor. Zwei Interviews.

Wie definierst du einen Intellektuellen?

Jeder Mensch, der mit Ideen arbeitet, ist ein Intellektueller. Mir gefällt es, wenn es Überschneidungen zwischen den Dingen gibt, dass die Menschen, die mit Ideen arbeiten, mit dem Leben verbunden sind. In diesem Sinne sind die Intellektuellen, für die ich mich interessiere, Menschen, die mit dem Leben arbeiten. Schopenhauer sagte einmal, dass man einer Philosophie, bei der man nicht das Zähneknirschen zwischen den Seiten hört, nicht vertrauen kann. Und ich denke, er hat recht. Hegel, um bei den Deutschen zu bleiben, erscheint mir dagegen viel verkopfter und wenig lebhaft. In der Zeit, in der sie unterrichtet haben, war der Hörsaal von Hegel voll, der von Schopenhauer hingegen leer. Ich glaube, das lag daran, dass Schopenhauer die Dinge sagte, die niemand hören wollte.

Ein Rat für junge Intellektuelle?

Ich denke, wenn eine Person aus Lateinamerika ihre Ideen verbreiten, schreiben will oder ihre Fähigkeit der Wahrnehmung ausdrücken will, muss sie diese Dinge schnell machen. Man muss Liebe für sein Schicksal empfinden, darf nicht denken, dass das Leben einem etwas schuldet, sondern den Stier bei den Hörnern packen und etwas machen, die technischen Hilfsmittel schaffen, mit denen man sich Gehör verschaffen kann. Man muss begreifen, dass die Literatur nicht etwas Individuelles, sondern etwas Kollektives ist, du muss dich mit anderen Menschen zusammentun, damit deine Botschaft ankommt. Denn genau diese Zusammenarbeit mit anderen führt dazu, dass man sich von seiner eigenen Botschaft, von seinem Ego entfernt, und das macht alles viel interessanter, weil es wie eine fremde Stimme zurückkommt.

Du schreibst Lyrik und Prosa, aber auch Essays. Was ist für dich das Besondere an diesem Format?

In meinem Fall sind die Essays eine Möglichkeit für Experimente. Der Versuch, bestimmte Gedankengänge auszugrenzen und die Möglichkeit zu akzeptieren, dass in einem Essay antagonistische Ideen nebeneinander existieren können, eine Idee in parallelen Gedankengängen zu suchen, die gleichzeitig gegenteilige Dinge aussagen können. Das ist eine Art anzuerkennen, dass man Fehler macht, dass man sich irrt und dass man es erneut versuchen kann, eine Idee, einen Satz herumschweifen zu lassen, ohne den Druck, einen abschließenden Punkt setzen zu müssen. Man muss diese Idee, Endpunkte an Dinge zu setzen, sie abzuschließen, aufgeben. Denn wenn man aufhört zu lernen, ist man tot.

Ich denke dabei nicht an „Denker“. Cesar Vallejo ist für mich ein außergewöhnlicher Poet. In vielen seiner Gedichte finden sich Reflektionen über die Gesellschaft, in der wir gerade leben und über die, in der er leben musste. Wenn ich lese, konzentriere ich mich nicht auf Essayisten, ich lese alles, verschiedenen Schriftsteller aus ihren entsprechenden Genren, die für mich ebenfalls Essayisten sind, sogar einige Musiker kommen mir wie Essayisten vor. In meinem Land gibt es eine echt interessante Bewegung von neuen Rockbands, an denen mir besonders gefällt, dass sie sich nicht ernst nehmen. Sie sind sehr cool und entspannt, und sie brachen mit dieser vorherrschenden Einstellung, die ich schrecklich finde, mit diesem: „Ich bin der Star und ihr seid das Publikum.“ Das sind Leute, die wissen, das sie es sind, die spielen, aber dass man auch von einem Moment auf den anderen auf der anderen Seite stehen kann. Sie geben sich gegenseitig etwas, Publikum und Band, ein komplettes Feedback. Das Label heißt Laptra und kommt aus La Plata, die haben mich animiert Musik zu hören, die haben mir gute Laune gemacht, die sind erfrischend.

Was bedeutet dir Demokratie?

Unter all den Systemen, die es geben könnte, interessiert mich am meisten die Demokratie. Es scheint mir das System zu sein, in dem man am besten leben kann. Betrachtet man seine Idealform, müsste es wohl ein Raum sein, in dem alle Menschen alle Möglichkeiten hätten, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, man müsste nicht aufgrund von Unterdrückung und ähnlichen Dingen Entscheidungen treffen. Ich würde gern Demokratie wie einen idealen Raum denken, in dem es allen möglich ist, zu denken, eine Stimme zu haben und eine Stimme abgeben zu können, mit der man etwas bewirken kann.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Kapitäninnen http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/kapitaninnen/ Sun, 10 Oct 2010 12:49:33 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2823

Rike Bolte, Lateinamerikanistin und Organisatorin des mobilen Poesiefestivals Latinale, hat nach Autorinnen des Buchmesse-Gastlands Ausschau gehalten.

In den achtziger Jahren fragt Luisa Valenzuela mit dem Biss eines ihrer Nano-Texte – Titel: “Pregunta: ¿quién capitanea…”, im Jahrtausend zu einem bloßen “P&R” zurechtgefiedert – wer da einen herrschaftlich über gespiegelte Luft dahingleitenden Dreimaster anführe. Morgan ist’s, und an seiner Seite Señora la Fata Morgana. Valenzuela begeistert sich noch in anderen Minis für imaginäre Piraterie. Frankfurt 2010: Wer führt auf dem Zehnmaster, 578.000 qm Grundfläche, ins argentinische Meer der literarischen Illusionen? Da wird Valenzuelas Roman “Morgen” verschifft (Edition Milo). Es geht stromaufwärts, achtzehn dem textuellen Terrorismus verschriebene Damen sind an Bord. Der Morgen wird gekapert, die Texterinnen arrestiert, ihre Stimmen ausgemappt. Bleibt ein Laptop als kommunikative Insel und berichtet fortan von der residualen Odyssee, wenngleich die biblioklastischen Schärgen auch hier noch ihre Arbeit tun, bis Hacker und andere Agenten in wirkungsvolle Kontra-Aktion treten.

Wer eskortiert Valenzuelas Verschiffung nach Frankfurt 2010? Stechen weitere Fatas und Morganas in See? Ein spiegelnder Blick genügt, um festzustellen, Morgans gibt es einige, Piratinnen könnten es mehr sein. Doch die jungen darunter, sie mausern sich. Blick durchs Fernrohr: Samanta Schweblins “Die Wahrheit über die Zukunft” (Suhrkamp) verspeist lebendige Vögel, in Laura Alcobas “Das Kanichenhaus” (Suhrkamp) wird eine Flugblattdruckerei zur Kaninchenzuchtstätte umdeklariert. Maria Sonia Cristoffs Reportagen, “Patagonische Gespenster” (Berenberg): so reicht eine Chatwin die Hand! In Lucía Puenzos “Der Fluch der Jacinta Pichimahuida” (Wagenbach) klappert eine argentinische Twiggy delirant gegen die Gespenster einer virtuellen Vergangenheit an; in Eugenia Almeidas “Der Bus” (Stockmann) hält keiner mehr an, während in Lola Arias “Liebe ist ein Heckenschütze” (Blumenbar) motorisierte Amazonen sich das Herz aus dem Leibe heizen. In Mariana Enríquez “Verschwinden” (Hans Schiler) steht jemand schließlich am Rande des Strudels. Bordbucheintrag: den großen Fischen sei das Verschiffen, auch jenes der in Argentinien schon lange äußerst stimmkräftigen Morganas (Valenzuelas Ko-Texterinnen!) weiter empfohlen. Die wendigen Fische sichten ihre Beute auch ohne Empfehlung. Gratulation!

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Das sind unvermeidbar wir! http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/das-sind-unvermeidbar-wir/ Sat, 09 Oct 2010 14:12:26 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2798
Marvin Kleinemeier betreibt das Blog Wilde Leser mit Informationen und Lektüren zum chilenischen Autor Roberto Bolaño und einem Argentinienschwerpunkt. Mit dem argentinischen Autor Pedro Mairal spazierte er durch die Messehallen.

Beim Betreten der Ehrengastausstellung müssen sich die Augen an die relative Dunkelheit gewöhnen. Das weitläufige Areal wirkt gleichzeitig zu groß und zu klein. Es ist Donnerstag Mittag, die Gänge sind leer, die eingeladenen Lateinamerikaner scheinen für einen Augenblick unter sich zu sein und diskutieren in kleinen Gruppen vor den Exponaten. Das erste Gesicht, das mir auffällt, ist ein bekanntes. Zwischen zwei weißen Spruchbannern, die bewegungslos von der hohen Decke herabhängen, sehe ich Pedro Mairal. Er wirkt unscheinbar, sein dünner Bart erscheint spitzer als auf den Verlagsfotos. Er hält sich mit beiden Händen an der Schlaufe eines kleinen Rucksacks fest, als fürchte er aus dem Setting zu rutschen. Er erinnert sich sofort an meinen Namen. Vor einigen Wochen hatten wir ein langes Interview geführt.

Wir schlängeln uns zwischen den Damokles-Bannern hindurch, beginnen einen kleinen Spaziergang durch die Ausstellung und ich frage ihn, ob er sich angemessen repräsentiert fühle. „Das sind AUCH wir. Das sind unvermeidbar wir!“, gibt er resigniert von sich, ohne mich anzuschauen. Sein Blick ist auf die überdimensionierte Propagandatafel der argentinischen Präsidentin gerichtet. Ein paar Schritte weiter begeistert er sich dann für die Karikaturen des argentinischen Cartoonisten Rep von der Zeitung „Página/12“ und zeichnet mit seinen Fingern die dünnen Linien nach. Während ich ihn beobachte, fällt mein Blick auf eine Vitrine, in der Ernesto Guevaras Tagebücher ausgelegt sind und erinnere mich an das Jahr meines Lebens in dem ich sie alle gelesen hatte. Pedro sage ich nichts davon.

Nach weiteren Schritten über den ungenau verlegten Holzboden erreichen wir ein Mahnmal für die Verschollenen der Diktaturzeit. Wir stehen vor einer Tafel, auf der die Schriftsteller aufgezählt sind, die während der Diktatur verschwunden sind. Es ist eine große Tafel. Vielleicht 60 Namen. Ich hörte bereits andere Schriftsteller den abgenutzten Begriff der „verlorenen Generation“ benutzen. Für Mairal geht das nicht weit genug. „Das ist ein Loch, ein Abgrund zwischen zwei Generationen. Eine ganze Stimme unserer Geschichte wurde ausgelöscht.“ Nachdem er das sagt, erneuert er seinen Griff um die Rucksackschnalle und blickt gedankenverloren auf die riesige Landkarte Argentiniens auf der Fläche nebenan, die mit plakativen Tourismus-Fotos beleuchtet wird.

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Der Humboldtsche Blick. Wissenstransfer aus den Amerikas ist eine neo/ koloniale Leerstelle http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/der-humboldtsche-blick-wissenstransfer-aus-den-amerikas-ist-eine-neo-koloniale-leerstelle/ Fri, 08 Oct 2010 10:00:22 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2734
Deutsche und argentinische Gastblogger berichten für Los Superdemokraticos über die Frankfurter Buchmesse. Die Redakteurin und Doktorandin Julia Roth schreibt für die Zeitschrift polar und das MissyMagazin. Derzeit arbeitet sie an zwei Projekten im Rahmen des Bicentenario-Jubiläums am Haus der Kulturen der Welt und am Hebbel Am Ufer mit.

„Das Leben ist ein Tango“ steht in großen Lettern am Stand des Wagenbach-Verlags. Immer wieder Tango. Ich beginne, mich zu langweilen. Pampa, Patagonien, Gauchos, weites, leeres Land. Die Bilder von und über Argentinien bedienen meistens den (verinnerlichten) europäischen Blick. Und fokussieren die „schöne“ Literatur und fiktive Genres. Die Damen Landesgenossinnen am Nachbartisch diskutieren Korruption und Rückständigkeit Argentiniens und die atemberaubende Landschaft. Zitieren Humboldt. – Aber wo auf unseren diskursiven Landkarten sind die Denkerinnen und Denkern, Theoretikerinnen und Theoretiker aus den Amerikas? Was ist mit nicht eurozentristischem oder sich an europäischen Standards orientierenden Wissen? Wer bestimmt, was übersetzt und rezipiert wird und wie? Auf der Ebene der Bewertung, Einordnung und Theoretisierung von Wissen und die Teilhabe an Wissensproduktion und -transfer besteht die koloniale Schieflage offensichtlich weitgehend fort.

Da! Im Programm des Standes des Goethe-Instituts Buenos Aires ein Lichtblick! Morgen von 16 bis 17 Uhr greift dort eine Diskussionsrunde das Thema Wissensproduktion auf. Dort diskutieren der argentinische Verleger Carlos Díaz, der englische Verleger Bill Swainson und die Geisteswissenschaftlerin Anke Simon Lateinamerika als Ideenschmiede. Zur Debatte steht der asymmetrische hegemoniale Nord-Süd-Kreislauf von Wissen, die Dominanz des Englischen in den Wissenschaften und die hegemoniale Position des globalen Nordens als Produzent von Theorien, an denen sich ‚der Süden’ orientieren muss, um wahrgenommen zu werden.

Es bleiben viele Fragen. Und ich beschließe, den Abend nicht mit der wankelmütigen hegemonialen Intelligentsia bei Rotwein zu begehen. Ich fahre zurück nach Berlin. Dort eröffnet heute die Ausstellung „Das Potosí-Prinzip“ zu kolonialer Ausbeutung von Ressourcen, Wissen und Images Lateinamerikas. Untertitel: „Wie können wir das Lied des Herrn im fremden Land singen?“

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Große Welt http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/grose-welt/ Thu, 07 Oct 2010 09:07:23 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2596
Jörg Sundermeier ist einer der Verleger vom Verbrecher Verlag heute um 15 Uhr in Halle 4.1, D 129 ein Gespräch mit unabhängigen Verlegern aus Deutschland und Argentinien über die alternativen Hotlists beider Länder.

Die Frankfurter Buchmesse ist für ein Landei wie mich etwas ganz besonderes. Ich bin in Gütersloh geboren. Im Westen Deutschlands, in einer unspektakulären Gegend. Gütersloh kennt in Deutschland kaum ein Mensch. In der Buchbranche allerdings nicken die Kolleginnen und Kollegen, wenn sie den Namen der Stadt hören. Denn in Gütersloh steht die Zentrale des mächtigen Bertelsmann-Konzerns. Doch dringt aus dem Weltkonzern nichts Weltmännisches nach außen. Zumindest nicht in Gütersloh. Diese Stadt ist tiefe Provinz, leicht überschaubar.

Seit einigen Jahren lebe ich in Berlin, doch auch Berlin ist überschaubar. Berlin ist aus lauter kleinen Städten und Dörfern entstanden, und die Grundstruktur hat sich erhalten. Es gibt Leute, die die Stadtteile Spandau oder Friedrichshain nie verlassen. Das heutige Berlin ist alles andere als eine quirlige Großstadt. Berlin ist eine Metropole, doch Berlin ist noch nicht wirklich urban.

Die Frankfurter Buchmesse dagegen ist völlig unüberschaubar. Gerade für so ein großstädtisches Landei wie ich es bin. Die Frankfurter Buchmesse ist international, sehr international, und das spürt man selbst in den Ecken, in denen nur deutschsprachige Verlage nebeneinander stehen. Wie international diese Buchmesse ist, bekomme ich gerade in diesen Tagen wieder einmal zu spüren. Denn als wir, eine Gruppe kleiner Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, im vergangenen Jahr die „Hotlist der Independent-Verlage“ ausriefen, um all den Listen, auf denen fast nur Produkte der Großverlage zu finden sind, etwas entgegen zu setzen, da konnten wir nicht ahnen, dass wir Nachahmer in anderen Ländern finden.
Auf unserer „Hotlist“ präsentierten wir ein Best of aus unserer Buchproduktion – eigensinnig, nicht einem Genre verpflichtet, verwirrend, spannend. Dementsprechend waren die Reaktionen – ablehnend oder zustimmend, aber nie gleichgültig. Das wiederum hat uns Mut gemacht, in diesem Jahr erneut eine „Hotlist“ auszurufen.

Doch nie hätten wir mit Nachahmern gerechnet. Und schon gar nicht hätten wir ahnen können, dass ausgerechnet die Kleinverlegerinnen und -verleger aus dem Gastland Argentinien – die sich in der Gruppe Alianza de Editores Independientes de la Argentina (EDINAR) zusammengeschlossen haben – diese „Hotlist“-Idee übernehmen und für sich fruchtbar machen! Doch der Verleger Guido Indij hat unsere „Hotlist“ im vergangenen Jahr auf der Buchmesse gesehen und die Idee nach Lateinamerika gebracht. So hat in diesem Jahr Deutschland eine Independent-Hotlist und Argentinien ebenso – auch die argentinische ist eine wilde Liste, auf der Belletristik neben Essays stehen, Klassiker neben blutjungen Newcomern.

Auf diese Weise will man gern ein Vorbild sein. Schön ist das. International ist das. Ich musste lernen: die Buchwelt ist grenzüberschreitend, sie ist sehr sehr groß. Größer als Gütersloh. Größer als Berlin. Größer als Deutschland. Und größer als der deutsche Sprachraum. Für mich altes Landei ist das, wie soll ich es anders sagen: die Welt.

Die argentinische Hotlist: http://www.edinar.com.ar/hotlist.htm

Die deutsche Hotlist: http://www.hotlist2010.de/page/

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Peri-Feria http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/peri-feria/ http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/peri-feria/#comments Wed, 06 Oct 2010 17:51:37 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2616

Wir sind angekommen! Auf der Messe! Wir wohnen in einem kleinen Dorf außerhalb der Innenstadt und gehen jeden Morgen zu Fuß zur S-Bahn, eine Brücke führt über einen rauschenden Bach mit wilden Orchideen, die am Ufer wachsen, helle, warme Herbstluft, gepflügte Äcker, sogar ein Pferd ist morgens unterwegs.

Der Weg zur Messe. Herbst in Hessen.

Wir gehen „übers Feld“, wie unser netter Gastgeber Paul sagt. Paul liebt Bolivien und seine Wohnung ist bolivianischer als die eines Bolivianers, würde ich mal behaupten: Fotos der Flora und Fauna, die bolivanische Landesflagge, Collagen aus Biersortenlabels (Quilmes, Huari…), Messer in Lederscheiden. In seinem Regal stehen Bücher über Lateinamerika, ein Stadtplan seines Wohnorts dagegen nicht. Wo ist Bolivien, wo ist Frankfurt? Wie verorten wir uns heute,  in welchen imaginären Landschaften? Und ist nicht alles, was wir leben, auch wenn wir es nicht aufschreiben, Fiktion? Wir sind in jeder Minute die Autoren unseres eigenen Lebens – und welche Perspektive nehmen wir ein, eine Zentralperspektive oder eine vom Rand? Von der Peripherie?

Ich nenne die größte Buchmesse der Welt, die Feria de Libro, jetzt nur noch Peri-Feria del Mundo. Es präsentieren sich Verlage aus 111 Ländern: die meisten, 3.315 kommen logischerweise aus Deutschland, 97 aus dem Ehrengastland Argentinien, hier der Gesamtüberblick. Die gesamte Bücherwelt ist zwar in neun Hallen vereint, aber auch hier gibt es Hallen, die voll sind, Hallen, die leerer sind, sozusagen beliebte touristische Regionen und noch unentdeckte Orte, Ränder, leise Stimmen, Unsichtbares. Wir selbst schreiben vom Stand der Bundeszentrale für politische Bildung, Halle 3.1, H141, der Halle für „Fiction and Non-Fiction“ aus. Vom Nebenstand grinst eine Obama-Pappfigur herüber, von schräg blickt mich ein Weihnachtslied-Zitat an, ein christliches Magazin stellt sich vor. Gleich höre ich mir an, wie die MERCOSUR-Länderkulturell  zusammenarbeiten wollen, wie eine „auf Vielfalt, Toleranz und Multikulturalismus basierende Identität“ entstehen kann, organisiert vom brasilianischen Generalkonsulat. Das wahre Zentrum ist dein Zentrum der Aufmerksamkeit.

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