Nikola Richter – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Gruppen-Trolling in der fünften Internationale http://superdemokraticos.com/poetologie/gruppen-trolling-in-der-funften-internationale/ Fri, 16 Nov 2012 16:30:22 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6458

Wir sagen: Die fünfte Internationale kann nur im Netz entstehen.

Dort, wo Facebook der drittgrößte Staat der Welt ist, wo es keine Netiquette gibt, aber Nutzungsverträge, die niemand liest, wo Liebe wirklich immer ein Wort ist, wo Zustimmung nur einen Mausklick bedeutet, wo wir uns mit Unbekannten anfreunden und Bekannte entfreunden und wo das Dark Web von selbsterwählten Nerds und Hackern regiert wird, wo Nationalität, Hautfarbe und Geschlecht sich in HTML auflösen, sind wir Hyperlinks in einer hyperlinken Zeit.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale kann nur im Netz entstehen.

Innerhalb der Mauern der hyperlinken Zeit entwickelt sich die Utopie eines vormarxistischen Ursozialismus. Das hegelianische Fortschrittsdenken hat sich aufgelöst, die lineare Hoheitsbetrachtung der Geschichte hat abgedankt. Sich über die technische Revolution neu zu erfinden, bedeutet, flüssige Zeit- und Raumverständnisse zu vertreten. Zum Beispiel: am Berliner Schreibtisch bolivianisches Radio hören. Also muss heute jeder ein Anarchist sein. Denn das Internet bedeutet Freiheit, Unordnung, unkontrolliertes Sprechen und Schreiben, zumindest in seinem Idealzustand. Das freie Web lässt uns in kurzer Zeit einfach und schnell neue Ideen entdecken, Ideen, gegenüber denen es eventuell Vorurteile gibt. Gegebene Machtstrukturen werden durch diese Entwicklungen ernsthaft in Frage gestellt – die Reaktion darauf ist, dass im Namen von Sicherheit und Gerechtigkeit, Einschränkungen vorgenommen werden. Die Bullen sind schon da, aber wir fordern Wlan weltweit. Das Netz darf nicht kolonialisiert werden, es gehört allen.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale kann nur im freien Netz entstehen.

Vor allem sind wir im Netz sprachlich verfasste Wesen. Unsere Subjektivität stellt sich durch Worte und Bilder dar, in ästhetischen Entscheidungen, die sich auf kollektives Unterbewusstes beziehen. Die geheimen Sehnsüchte der Menschen treffen sich online.

Das Netz gibt uns die Möglichkeit, unsere eigene Minderheit weltweit maßzuschneidern, ständig vernetzt, oft allein, als Aktivisten für die Verbreitung von Inhalten. In der Anonymität unserer Avatare brauchen wir uns nicht an dominante Meinungen anzupassen – vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran, hoch, runter, lady bum. So können Stereotype eher gebrochen werden.

Daher ist das konsequenteste befreite Schreibverhalten das Schreiben von Blogs. Blogger sind bewusste Internet-Nihilisten. Ihre „zero comments“-Haltung ist eine positive Strategie für das Vorbeischreiben am Mainstream und am Verlagswesen der Bertelsmänner und Pinguine. Bertelsmannprodukte sollte man kennzeichnen wie Zigarettenschachteln. „Achtung: Die Pseudokultur, die wir verkaufen, kann ideologischen Schaden zufügen.“

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale kann nur in freien Räumen im Netz entstehen.

Wir sind umgeben von einer Ästhetik der Oberfläche. Das ist auch das Problem von linken Parteien und Institutionen, die sich auf eine oberflächlich-linke Ikonographie beziehen, die mehr der Nostalgie gewidmet ist als einem neuen Umgang miteinander. Hauptsache, Rot, Rot, Rot. Und mit Bart. Gerne auch ein Che-Guevara-Jutebeutel. Hammer und Sichel. Dabei ist das Arbeiterproletariat durch das Proletariat der Tastatur-Dienstleister ersetzt worden, die eher einem Chat auf Global English als einer Gewerkschaft beitreten würden. Doch wo ist die übernationale Lobby für die neuen Netzarbeiter? Wer kämpft für das globale Grundeinkommen von Freidenkern, die demokratische Strukturen aufrechterhalten wollen?

Das Internet muss als politischer und kultureller Ort aufgewertet werden. Es gräbt Klassiker aus und rettet sie vor dem Vergessen. Die Bibliothekare des Internets sind Kopisten, die ihre Lieblingstexte abschreiben, mit URLs versehen und der globalen Leserschaft schenken. Hyperlinke Autoren müssen sich stärker mit ihrem linken Stammbaum beschäftigen, auch mit dem Teil des Stammbaumes, der gezwungen war, Europa zu verlassen. Lateinamerika ist überfüllt von Anarchisten und Trotzkisten, zwei linken Minderheiten, die sich mit Kunst und ihrer Rolle in der Gesellschaft beschäftigt haben und die es nie groß in die Medien geschafft haben.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale kann nur durch Wissenskommunen entstehen.

Lasst uns über Trotzki reden. Er war einer der weniger Revoluzzer, die sich mit Kunst und Literatur beschäftigt haben. Ein Mann mit Bart. Und ein Exilant in Lateinamerika. Wir haben sein Haus im bürgerlichen Stadtteil Coyoacan in Megalo-Mexiko-City besucht. Seinen Bunker. Den Innenhof, in dem er Kaninchen und Hennen in Ställen züchtete, weil er glaubte, dass der revolutionäre Schreiber sowohl intellektuelle Arbeit als auch Handarbeit leisten müsse.

Die erste Bedingung für den Künstler ist die thematische Freiheit, um zu einer eigenen Ästhetik zu gelangen, schrieben Trotzki und Breton in einem gemeinsamen Manifest, das sie 1938 in Mexiko verfasst haben. Daher wird ein Roman, der den Untertitel „linker Roman“ trägt, als linker Roman scheitern. Das Andocken an eine linke Systemästhetik nimmt dem Kunstwerk seine ästhetische Eigenständigkeit. Wir müssen unterscheiden zwischen links als Label, als Aufkleber auf dem Fahrrad oder Auto, und zwischen hyperlinks als utopischem Aktionismus. Ein hyperlinker Autor ist der, der frei schreibt und als Mensch gerecht handelt. Freie Kunst wird von den orthodoxen Linken, die es in die Geschichtsbücher geschafft haben, nicht allzu sehr geschätzt.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale kann nur durch freie Geister im Netz entstehen.

Als freie Geister werfen wir uns tiefe Blicke zu, in denen sich die Gegenwart zur Unendlichkeit ausdehnt. Wir dürfen auch mal was Romantisches sagen. Die Zukunft, in der wir uns treffen, verläuft als kodierte Doppel-Helix, sie besteht aus unendlichen Kombinationen von Nullen und Einsen, Xen und Ypsilons. Die fünfte Sonne der Mayas fängt in diesem Jahr im Dezember an, ein neuer historischer Abschnitt beginnt. Es ist die Zeit gekommen, dass der hyperlinke Autor einen ganz neuen Menschen und neue Leserschaften erfindet, die sich über Grenzen hinweg organisieren. Sie alle brauchen Übersetzer, um plural und demokratisch zu bleiben, etwa wie Yoani Sanchez, die kubanische Bloggerin, deren Blog von Freiwilligen in etwa 20 Sprachen übersetzt wird. Trotzky sprach Spanisch mit russischem Akzent. Die neuen literarischen Netzaktivisten lesen und schreiben auch mit Akzent, sie sind fehlerhafte Mestizen mit vielen Augen und Sichtweisen.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale fordert: Benutzt „FREE GOOGLE TRANSLATE“.

Es müssen neue Tätigkeiten anerkannt werden: Statt Toto Lotto zu spielen, sollte jede Woche der beste Tweet mit 30.000 Euro ausgezeichnet werden. Aphorismen zu schreiben, ist hartes Brot. Wenn schon Facebook alle unsere Inhalte speichert und auswertet, sollte der Konzern auch ab und zu das beste Foto kaufen. Wer seine Lieblingsbücher einscannt oder abtippt und für die Netzbibliothek digitalisiert, verdient einen fairen Lohn. Genau wie Programmierer und Entwickler von freier Software. Wenn Trotzki heute im Exil wäre, würde er von Mexiko aus nonstop über alle Kanäle kommunizieren. Trotzki wäre ein durch crowdsourcing finanzierter Troll. Aber Trolling gegen eine Regierung ist schwieriger als man es sich vorstellt. Derzeit setzen viele Länder Facebook-Polizisten ein, die einzelnen Personen auf ihren Internetprofilen Drohungen hinterlassen, das ist für Bolivien, Venezuela, Iran so, in Spanien, Griechenland, Italien wird zur Zeit über ähnliche Maßnahmen diskutiert.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale wird von hyperlinken Trollen aufgebaut.

Hyperlinke Trolle handeln stets im Sinne der Gruppe, für die sie kämpfen und leisten Lobbyarbeit für hyperlinkes Gedankengut. Sie schreiben obsessiv über ein Thema, überall, wo sie können, auch wenn sie nicht dafür bezahlt werden. Sie sind provokant. Worte sind ihre Waffen. Sie verstecken ihr Gesicht nicht in einer Sockenpuppe, sondern stehen öffentlich zu ihrer Meinung. Sie reagieren impulsiv, sind kommerziell-unbewusst, nicht am Markt, sondern an Menschen orientiert. Daher ist eines der Grundgebote der hyperlinken Trolle das Teilen: Das ist die bessere Nächstenliebe! So bauen sich diese Einzeltäter textuelle Kooperativen auf, welche unabhängig und selbstständig Inhalte weitertrollen. Solidarität unter Trolls ist ein Muss, Gruppen-Trolling ist die revolutionäre Taktik.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale kann sich nur durch Gruppen-Trolling im Netz verbreiten. Deutschland, vergiss deinen Impfpass. Relajate y disfruta.

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10 Punkte für ein neues Urheberrecht http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/10-punkte-fur-ein-neues-urheberrecht/ Mon, 21 May 2012 09:32:07 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6358 Aus aktuellem Anlass habe ich mich mal hingesetzt und ein paar Punkte für ein neues Urheberrecht entworfen, denn das derzeitige scheint nicht mehr so richtig zu funktionieren. Es ist kompliziert, und ich habe bestimmt einiges nicht bedacht, daher bitte ich um Ergänzungen.

1. Der Künstler, Journalist oder Musiker ist kein „Filter“ (Piratin Julia Schramm, bei Minute 2:29:31 im Podcast bei „Wir müssen reden“)? , sondern ein Mitteilungsmedium. Ihm/ihr gehört seine Mitteilung als geistiges Eigentum. Er ist der erste, der sie verkaufen und verbreiten darf. Sobald er sie aber verkauft oder verbreitet hat, gehört ihm seine Mitteilung im klassischen Sinn nicht mehr. Sein Name und die Originalquelle müssen jedoch bei jeder Weiterverbreitung genannt werden.

2. Wer die Mitteilung eines Künstlers privat kostenlos genießt, darf das. Das ist nicht illegal.

3. Wer mit Verbreitung der Mitteilung eines Künstlers Geld verdient oder verdienen will, muss den Künstler bei der Erstverbreitung ausreichend entlohnen. Bei Wiedernutzung (Klicks bei Youtube) wird an den Künstler ein Anteil gezahlt, der sich aus den Klickzahlen berechnet.

4. Wir brauchen einen echten Mindestlohn für Kunst-Verwertung! Nutzungsverträge, die weniger als den derzeitigen Mindestlohn (umsonst) einbringen, dürfen nur über die einfachen Nutzungsrechte abgeschlossen werden. D.h. ein Journalist verkauft seinen Artikel nicht mehr dem Verlag inklusive aller Rechte, sondern verkauft seinen Artikel für die einmalige Nutzung und kann seinen Artikel weiterverkaufen, -veröffentlichen, etwa auf seinem Blog. (War übrigens so bei LSD als wir noch Geld hatten).

5. Nutzungsverträge über die umfassenden Nutzungsrechte müssen ein faires Honorar enthalten.

6. Öffentlich-rechtliche Medien müssen eingekaufte Inhalte dauerhaft öffentlich im Netz zugänglich machen. Sie dürfen als nur noch so produzieren, dass sie die Rechte länger als für 7 oder vierzehn Tage haben, etwa rechtefreie Musik verwenden und damit eine Band bekannter machen, etwa Musik komponieren lassen und damit neue Jobs schaffen, teure Bilder nicht verwenden, sondern zeichnen lassen, also: kreativ die Inhalte herstellen, die dauerhaft nutzbar sein können, am besten auch mit Hilfe von „Urhebern“, die dafür einmalig und gut bezahlt werden.

7. Der Künstler selbst muss entscheiden, wie sein Werk verändert, geteilt, genutzt, kopiert werden darf. Nicht die Urheberrechtsverträge und Urheberrechtler. (Es ist derzeit etwa vollkommen unmöglich, das ist meine eigene Erfahrung, Standardverträge zu verändern, etwa nur das einfache Nutzungsrecht zu verkaufen, um das Recht an Texten zu behalten, die ja eh schnell entsorgt werden, wenn sie kein Riesenerfolg werden)

8. Die Verlinkung von Werken ist kein Verstoß gegen das Urheberrecht.

9. Nationales Urheberrecht ist gleich internationales Urheberrecht. Das Netz ist ein internationaler Markt.

10. Identische Kopien sind keine künstlerische Mitteilung.

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Zusammen schauen http://superdemokraticos.com/monatsthema/zusammen-schauen/ Sat, 12 May 2012 09:13:17 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6398

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Jahresende, Explosionen http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/jahresende-explosionen/ Sat, 31 Dec 2011 09:52:13 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6297 Die Zeit zwischen den Jahren, wie man auf Deutsch sagt, also die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr, sind ruhige Tage. Die Hauptstadt ist leer. Einzig Touristengruppen auf der Friedrichstraße am Checkpoint Charlie trauen sich in das nass-kalte Wetter. Die meisten Menschen ruhen sich  vom Festessen und Endjahresstress aus, schauen ein paar Blockbuster im TV, ordnen Geschenke in die Regale, telefonieren, schweigen, schlafen. Bis dann am letzten Tag des Jahres die Böller kommen. Sie kommen von vorne, von hinten, von oben, am 31. Dezember, wenn es dunkel wird, ist es schwierig, ihnen auszuweichen. Einmal habe ich ein paar Jungs, die gerade dabei waren, etwas zu zünden, zugerufen: „Hey, Jungs, ich hab einen Tinnitus, bitte wartet kurz mit eurem Knaller, bis ich vorbei bin.“ Und sie: „Klar, kein Problem, liebe Dame.“

Diese durch Explosionen immer wieder aufgeweckte Besinnlichkeit könnte ein Bild für den Literarischen Aktivismus sein, ein Verhalten, das wir uns von Superdemokraticos immer wieder auf unsere Fahnen geschrieben haben, dem wir das Monatsthema Dezember, aber auch eine Anthologie gewidmet haben, die für fünf Euro beim Verlag Milena Berlín zu kaufen ist, der sich gründete, nachdem die Verleger 2010 bei der Frankfurter Buchmesse einen Stand besetzten. Literarisch aktiv sein heißt nämlich, sich für die Literatur auch körperlich einzusetzen, nicht nur monetär. Für Autorinnen und Autoren, für Orte, an denen Literatur stattfindet. Heißt, Freiräume aufzusprengen, Aufmerksamkeit zu gewinnen, heißt, sich für etwas, jemanden zu entscheiden, heißt, eine Meinung zu haben, sich nach vorne zu stellen, mit Gesicht, mit Stimme, mit Mikro. Heißt, das Publikum zu schätzen, das mit den Füßen abstimmt. Mal sehen, wer heute kommt, ob jemand kommt…

Als ich 1999 nach Berlin umzog, mit Gedichten in meiner Tasche, lief ich von Lesung zu Lesung, um die anderen Dichter kennenzulernen. Die sollte es doch hier geben. Wo waren sie denn? Zunächst fand ich Veranstaltungsankündigungen in Zeitungen, dann fand ich Bekannte, Komplizen, Vertraute, Verrückte, war Mitglied verschiedener privater Lyrikkreise, die alle gemeinsam hatten, dass der Rotwein floss und die Luft aus Qualm waberte, dass die Egos aneinanderprallten, dass aber auch gemeinsame Publikationen erschienen. Ich organisierte mit anderen eine Lesebühne (visch&ferse), die sich jährlich auflöste und wieder neugründete, und einen mehrsprachigen Salon, den Hinterzimmer-Salon. Mal wurde ich eingeladen, mal lud ich ein. Mal stritt man sich, mal versöhnte man sich, manchmal las man sich nur noch auf Facebook. Da war etwas kaputt gegangen. Explosionen können gefährlich sein.

Aber zum Glück ist das Vertreten von Texten, die Text-PR, so emotional, so im- und explosiv. Neues entsteht, wenn Altes vergeht. In der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift Am Erker wurden gerade 13 Autorinnen und Autoren gefragt, ob zwischen Schriftstellern Freundschaft möglich sei. Allein diese Frage zeigt schon, wie vermint der Boden ist, auf dem sich Schreibende bewegen. Das Jahr ist zu Ende. Wir machen weiter. Weil wir daran glauben, dass nach dem Knall ein Nachhall bleibt. Wenn man zusammen an etwas glaubt und arbeitet.

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Que padre, que madre! http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/que-padre-que-madre/ Mon, 05 Dec 2011 23:05:28 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6136 Unser Messeblog lag ein paar Tage brach, unter anderem, weil das Internet brachlag. Unterdessen ist viel passiert, aber ein paar Sätze und Einsichten und Begegnungen bleiben. Ein Abschlussbericht.

Oft wurde zu lange geredet, bis der Punkt kam: So wollte ich gerne über die Buchpräsentation der jungen Journalistin Ana Lilia Pérez schreiben, die ihr Aufdeckungsbuch „Das schwarze Kartell“ über die Verbindungen der Drogenmafia zur Benzin- und Ölfirma Pemex auf der 25. Buchmesse in Guadalajara vorstellte. Aber es war wieder eine dieser hier typischen Buchpräsentationen, die damit beginnen, dass rezensionsartige Essays zu dem Buch vorgelesen werden. Was oft spannend ist, aber es dauert eben… Und ich habe nach 45 Minuten den übervollen Saal verlassen, ohne die Stimme der Autorin überhaupt vernommen zu haben. Ähnlich ging es mir bei der Diskussion mit dem Chefredakteur von El País, Javier Moreno, Philip Bennett von der „Washington Post“, Suzana Singer, „defensor de lector“, einer Art Ansprechpartner für die Rechte der Leser, bei der größten brasilianischen Zeitung „Folho“ mit einer Auflage von 400.000 pro Tag, und Alejandro Santos Rubino von der Zeitschrift „Semana“ in Kolumbien. Sie sollten uns davon erzählen, wie sich der Journalismus nach Wikileaks verändert hat, aber erstmal fasste Bennett die Geschichte von Wikileaks auf Wunsch der Moderatorin zusammen, als ob wir noch nie etwas davon gehört hätten. Javier Moreno schaffte es, sein klandestines Treffen mit Julian Assange in Zürich, auf 15 Minuten langzubügeln. Allein Suzana Singer kam zum Punkt: „Folho“ hat nach Wikileaks einen eigenen Kanal eröffnet, durch den Leserinnen und Leser anonym und sicher „denunzieren“ können, was bisher 320mal genutzt wurde und wodurch drei Zeitungsgeschichten entstanden, etwa zur Veruntreuung öffentlicher Gelder. Weitere Erkenntnis: Wikileaks enthielt bisher nicht viel relevantes Material für Lateinamerika, war sehr spezifiziert auf USA und Europa. Und: Die Plattform braucht Journalisten, die die Menge an Information filtern.

Es war also wirklich eine Fiesta vieler vieler Worte, oder, wie die Frankfurter Buchmesse in ihrer Abschlusspressemitteilung schreibt, eine Fiesta des Wortes. Sie gibt alle Zahlen und Fakten bekannt, die in eine Pressemitteilung gehören: 2.500 Menschen hörten dem Auftaktgespräch zwischen Herta Müller und Vargas Llosa zu, auf den 50 Literatur- und Fachveranstaltungen zählte die Messe rund 8.500 Besucher, am deutschen Pavillon präsentierten sich 42 Einzelaussteller, 20 deutsche Verlagsvertreter waren angereist. Die FIL selbst präsentierte mehr als 500 Bücher, darunter 25 Nachwuchsautoren aus Lateinamerika, die „25 Geheimnisse„.

Aber sind Zahlen nicht bloß leere Zeichen für Powerpoints der Marketing, Rights und Sales Manager, die nichts über die unverständlichen Wege der Literatur aussagen? Gar nicht so unverständlicherweise ging es daher in vielen Gesprächen auf den Podien, in den Salons, aber auch auf Parties um die „Macht der Sprache“ selbst, wie ein Slamgedicht von Bas Böttcher heißt, das er auch live vortrug.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=Ydhxo4DyPFc[/youtube]

Es ging um das Sich-Verstehen, das Einhören in eine neue Sprache, um Spanisch oder Englisch, um gemeinsame Lektüren, um Slang, um Schimpfworte, Alltagsverstehen: Im mexikanischen Spanisch bedeutet etwa „madre“ sowohl „Mutter“ als auch „super“, „padre“ bedeutet sowohl „Vater“ als auch… „super“. „Poco madre“ dagegen existiert nur in Kombination mit der Mutter, und das bedeutet dann eben „wenig super“… die Macht des Vaters oder der Mutter? Und wie klänge das auf Deutsch: „Wie Mutter“?

Die Ministerin Cornelia Pieper nannte Deutsch gleich bei der Eröffnung eine „Sprache der Ideen“, eine der zwei Messeleiterinnen der FIL, Consuelo Sáizar, sprach von einer „Brüderschaft des Wortes“, der wir alle angehören und für die die Messe 1987 gegründet worden war – gegen eine Zentralisierung des spanischsprachigen Buchmarkts in Spanien, denn Mexiko sei das Land mit der größten spanischsprachigen Bevölkerung.

Auf vielen Podien mit deutschsprachiger Literatur etwa mit Wladimir Kaminer, Dragica Rajcić, Adam Soboczynski und Saša Stanišić wurde allerdings nicht nur einer Sprache, sondern der Vielsprachigkeit der mehrkulturellen Autoren gehuldigt, die, so erkannte die Moderatorin Sara Lovera López, ein „modernes, eigenes Deutsch“ erfinden. Für den aus Bosnien stammenden Autoren Saša Stanišić ist Sprache wie „Spaghetti“ und „die Autoren machen die Soße“, Herkunft sei für ihn keine literarische Kategorie, genausowenig wie braune Haare, wichtig sei, dass man zwischen seiner doppelten Persönlichkeit eine Brücke schlagen könne, sie nicht als getrennte wahrnehme. Rajcić ließ wissen, dass alle ihre Metaphern im Deutschen aus dem Slawischen kämen, dass sie die „unabgeschlossene Vergangenheit“ des Slawischen nutze, denn im Deutschen gäbe es, auch im Politischen, nur eine „abgeschlossene Vergangenheit“.

Zum Abschluss erlaube ich mir, eine weitere Zahl zu nennen: Deutsch sei, informierte der Leiter der Frankfurter Buchmesse, Jürgen Boos, eine „gateway“-Sprache, denn 40-50 Prozent der Neuerscheinungen seien Übersetzungen, Deutsch sei der größte „Sprachenmarkt“ in Europa. Wenn ein Buch in deutscher Übersetzung erfolgreich sei, würden die Rechte oft auch für andere Sprachen verkauft. Und das ist doch eigentlich eine gute Meldung für die kleinen Sprachen, deren Verschwinden Dragica Rajcić fürchtet, denn mit ihnen verschwänden eigene Weltsichten. Hoffen wir also, dass der spanischsprachige Buchmarkt sich mehr und mehr der gar nicht so großen Sprache Deutsch annimmt!

Tschüss und Danke an unsere Messeblog-Unterstützerinnen und -er Natalia Guzmán, Barbara Buxbaum, Adriana Redondo von In-Kult, an Dieter Schmidt von der Frankfurter Buchmesse, an die super Guadalajara-Begleiter Paty, Vero, Erik, Sasa, Abbas, Holger, Peter Stamm, die Facebook-Agenten Amaranta und Dennis, sowie an die „Tocinos“ von Sexto Piso!

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Postfeminismus in der Küche http://superdemokraticos.com/laender/guatemala/postfeminismus-in-der-kuche/ Fri, 02 Dec 2011 19:50:08 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6116 [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=0IWpumKibiI[/youtube]

Die deutsche Filmemacherin und Autorin Doris Dörrie braucht sich nicht in der Küche zu verstecken. Sie hat 23 Bücher veröffentlicht, davon sieben in spanischer Übersetzung, sie als Regisseurin und ihre Filme wie „Männer“, „Hanabi“ oder „Bin ich schön?“ gehen um die Welt. Ihr Werk ist daher nicht nur beeinflusst von Erfahrungen, die sie als selbstständige Frau in männlichen Branchen erlebt, sondern auch von ihren zwei Lieblingsländern, Mexiko und Japan. So inszenierte sie zuletzt „Don Giovanni“ an der Hamburger Staatsoper, darin wird der ewige Don Juan und Frauen-Vernascher von einem weiblichen Tod in einem finalen Totentanz gerichtet, welche die Heilige „Catrina Mexicana“ zitiert, eine elegante Dame im Skelett-Kostüm. Diese Uminterpretation einer Macht- und Lebensbeziehung steht stellvertretend für das, was man Postfeminismus nennt, eine pluralistische Haltung, die über die Prozesse der scheiternden oder erfolgreichen Gleichberechtigung nachdenkt, über Repräsentation von Dominanz, Geschlecht und Familie. Kultur spielt dabei eine große Rolle, auch Alltagskultur, Einsichten wie „Männer machen mehr Lärm in der Küche als Frauen.“ Diese Beobachtung von Doris Dörrie gilt vielleicht eher für Deutschland als für lateinamerikanische Länder, in denen, zumindest in meiner Erfahrung, Männer gerademal wissen, wie der Toaster funktioniert. (Männer: Wenn das nicht stimmt, beschwert euch bitte bei mir.)

Es ist der starke Bezug auf das Körperliche, der Doris Dörries Erzählungen, auch wenn sie manchmal plakativ wirken, allgemeingültig und überkulturell machen: „Die Physis verbindet uns, nicht das Gehirn,“ erklärt sie. Bei einem Workshop mit Studierenden an der UNAM, der Universität in Mexiko-Stadt, ließ sie alle Teilnehmer ihre physische Erinnerung an den Fußboden der Kindheit beschreiben. Und dabei, ich bin mir sicher, wird der Küchenboden für jeden und jede postfeministisch aufgeladen. Ich etwa, habe in den Ritzen, Spaghetti gesucht, die meine Mutter dort versteckt hat, um mich zu beschäftigen.

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Messe-Party-Guide http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/messe-party-guide/ Fri, 02 Dec 2011 19:19:34 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6102

Wir alle wissen, dass Buchmessen gesellschaftliche Veranstaltungen sind. Klar, es geht bei diesen Branchentreffs in mehr oder weniger klimatisierten Hallen rein äußerlich um das Verlagsbusiness und vor allem um Bücher und um die Bücher-Menschen, die so genannten Bibliophilen (denen hier auf der Feria del Libro Guadalajara sogar ein eigener Preis verliehen wird, diesmal ging die „Homenaja al Bibliófilo“ an den 75-jährigen Mexikaner Ángel García Lascuráin, der Flugzeuge liebt und eine riesige Bibliothek angesammelt hat, unter anderem mit Erstausgaben von Ernest Hemingway). Aber auf den Messen, die ich kenne, findet der wahre Austausch nachts statt.

In Frankfurt, auf der größten Messe der Welt, laden Verlage zu teuren Empfängen in das dick mit Teppich ausgelegte und holzgetäfelte Hotel Frankfurter Hof. Die Einladungskarten dazu enthalten noch nicht einmal eine Adresse; wer eingeladen ist, war schonmal da, und Dekadenz in Deutschland gibt sich bescheiden, ist Kaschmirpulli ohne Logo. Auf solche Parties werden sowieso die nur bekannte Autoren, also die mit imageverbessernden Mediengesichtern, eingeladen. Dann gibt es die Inner-Circle-Parties bei den in der Stadt ansässigen Verlagen, etwa in der Suhrkamp-Villa, oder die Innenhof-Stehparty unter Heizpilzen beim S. Fischer Verlag in Sachsenhausen mit wenig Essen, aber viel, viel Alkohol. Hier wandern Visitenkarten hin und her, Interviewtermine werden abgesprochen, Preisträger kritisiert, keine Musik. Schließlich die für alle offene Party der Jungen Verlage wie Blumenbar, kein und aber, kookbooks, mairisch, Onkel&Onkel, Verbrecher Verlag, zu der alle jüngeren Autoren und Verleger gehen, wo man sich wie immer wie in Berlin fühlt, weil fast alle Autoren aus Berlin anwesend sind und sich an der Bier- oder Bionadeflasche festhalten. Visitenkarten tauscht hier niemand aus, höchstens Facebook-Namen, getanzt und geknutscht wird ab 2 Uhr nachts wild zu Hiphop, Disko, Abba, je schlechter die Musik, desto besser.

In Guadalajara scheint auch jeden Abend eine Fiesta stattzufinden. Das ist schonmal gleich. Aber einiges ist auch anders: Die Adressen wandern in Gesprächen und auf Zetteln hin und her, eine Einladung braucht man selten, vielleicht noch für die erste, die FIL-Eröffnungsparty auf einem parkähnlichen Gelände, auf das ein Riesenfestzelt gestellt wurde, flankiert von Bars und Imbissständen (Tacos, Süßigkeiten). Alles kostenlos, der Dresscode teuer-protzig, mit wehenden Stoffen, üppigem Schmuck und Makeup, hohen Absätzen. Eine der bekanntesten Cumbiabands, Sonora Dinamita aus Kolumbien, spielt und tanzt stundenlang vor einem blinkenden, überfüllten Disco-Dancefloor. Die Tische – mit Privatkellner – sind von einzelnen Mäzenen gebucht, kein Wunsch bleibt unerfüllt, alles im Überfluss vorhanden, die Reichen sind unter sich. Und es fällt auf: Die Deutschen trauen sich viel zu selten, ihre Hüften zu schwingen. Ähnlich ist es bei der Party des Verlags Veracruz, bei dem eine Salsaband auftritt, bei der „Party der Journalisten“ oder bei der Superrockdisko beim jungen Verlag Sexto Piso: Die Latinos tanzen, sind auch bereit, ein paar Grundkenntnisse zu zeigen, die Deutschen bleiben ihrem Klischee treu, schauen lieber zu oder wanken hin und her wie Bäume im Wind.

Fazit: Messe-Party heißt in Guadalajara vor allem lange und zu zweit tanzen, das müssen die Deutschen lernen. Vielleicht sollten sie das Bier, das jeden Tag um 16 Uhr im deutschen Pavillon – Achtung: Klischee-Alarm – ausgeschenkt wird, bei den Parties trinken?

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=QWyPDPH7YwY[/youtube]

Das Tages-Programm auf der Messen in Guadalajara hat sich zum Glück dem Nacht-Rhythmus bereits angepasst: Die meisten Veranstaltungen der spanischsprachigen Autoren beginnen ab 17 Uhr. Genug Zeit, um auszuschlafen, zu frühstücken und dann direkt von der Messe zur nächsten Party zu pendeln. Bis heute Abend!

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Clips http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/clips/ Wed, 30 Nov 2011 16:17:17 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6077 Es gibt unglaublich viele unterschiedliche Messe-Taschen: grün, orange, lila, gelb, sogar als schwarze Umhängetasche. Die Frage bleibt, welche Tasche ist für wen, was zeigt sie an?

Verzögerter Austausch: Deutschland ist das erste nicht-spanischsprachige Gastland der FIL Guadadalajara. Lateinamerikanische Literatur war das erste Regionen-Fokusthema der Frankfurter Buchmesse, 1976.

Alle gehören der Deutschland-Truppe an, denn auf den allen um den Hals baumelnden Ausweisen liest sich schon von weitem „Alemania“. Schön.

Morgens um 11 Uhr ist es auf der Messe noch eiskalt.

Im Pressezentrum ist es immer eiskalt.

Es ist Frühling im deutschen Pabellon: Immer mehr Lyrikblätter wachsen auf den Bäumen.

Kaffee: im Halbliterstyroporbecher, a la Americano. Espresso wird sehnsüchtig vermisst.

Jeder Stand hat eine eigene Verkaufskasse und mindestens fünf Aufpasser.

Der Messebleistift trägt die Aufschrift: „ecolapiz“. Ein Bleistift ist jetzt also ein Öko-Stift.

Ist Jürgen Boos, Chef der Frankfurter Buchmesse, eigentlich immer so erkältet?

So viele Netze, aber keines funktioniert zuverlässig. Schade.

Vor der textbox der Slam-Dichter Bastian Böttcher und Dalibor Markovic versammelt sich regelmäßig Menschentrauben.

Jeden Tag betreten Mariachigruppen das Gelände und ziehen durch die Hallen.

Mein erstes Interview gestern mit Schülern zu Deutschland: „Welche Ideologie hat Deutschland?“, „Esst ihr auch Zwiebeln?“, „Haben alle blaue Augen?“

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Auf einer Jodorowksy-Massen-Séance http://superdemokraticos.com/laender/mexiko/auf-einer-jodorowksy-massen-seance/ Tue, 29 Nov 2011 22:50:38 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6057 Ich bin Guru-geschädigt. Denn ein Exfreund schickte mir im Trenungsschmerz einmal monatelang Youtube-Videos mit schamanistischen Botschaften der Ich-Befreiung des chilenischen Autors, Filmemachers, Schamanen Alejandro Jodorowsky. Ich nannte ihn aus Wut nur noch Joderowsky, joder bedeutet, nett gesagt, „so ein Scheiß“. Nun hat dieser selbst ernannte Heiler, der angeblich in Paris einmal die Woche zu kostenlosen Beratungssitzungen in ein Café einlädt, ein neues Selbsthilfe-Buch geschrieben, „Metageneologia“. Es geht darin um die Macht, die familiäre Abstammungslinien über uns haben und wie wir uns von ihnen befreien können. Laut Jodorowsky haben wir nämlich kein individuelles, sondern ein kollektives Unbewusstes, das unseres Clans, zu dem wir einerseits gehören wollen, aber der uns andererseits auch einengt.

Tausende, vor allem junge Menschen sind gekommen, um im Open-Air-Auditorium der Buchmesse Guadalajara einer Psychomagie-Massen-Séance beizuwohnen. Die Sehnsucht nach Spiritualität. Ich bin skeptisch, ich brauche keine Therapie aus dem Internet oder Buch, keine vorgefertigten Sätze wie „Lass deine Seele frei“, und stelle mich in die Mitte, an einen schwarz verhüllten Lautsprecher, mit verschränkten Armen. Ich schaue mich immer wieder um, sehe konzentrierte Gesichter, offene Münder, Gläubige. Jodorowsky hält die Menge im Zaum. Er redet ruhig, geht auf und ab, ein rundes Spotlight verfolgt ihn, die silberne Folie im Hintergrund kräuselt sich zu einer Mondlandschaft. Er vermeidet jede Predigerhaltung, spielt den weisen Alten, den Geschichtenerzähler. Dass er hier etwas verkaufen will, ist ihm zwei Sätze wert: „Ein Buch sollte wie ein Kochbuch sein, das dir Rezepte gibt, dein eigener Heiler zu werden. Es ist ein Buch zum Lesen und Studieren. So, jetzt habe ich das Buch vorgestellt“, scherzt der Mann im schwarzen Anzug, der auf der Messe in weißer Kluft herumläuft. Er ist seine selbst geschaffene Figur. Neben ihm sitzen zwei stumme Verlagsleute der Edicion Siruela, wie Puppen oder wie Kontrolleure, sektenartig.

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Seine Anekdoten, das muss ich zugeben, sind nicht schlecht. Er erzählt von dem wunderschönen Stoff, den ein König für seine Königin weben ließ und den die Königin daraufhin verschmähte; den er noch einmal selbst nähte, und den sie dann bewunderte. „Der erste Stoff war mit Stolz gemacht, der zweite mit Liebe“, erklärt Jodorowsky. Oder die Geschichte vom Pinguin, der unbedingt ins Kino gehen wollte. „Nein, sagen die Leute auf der Straße, du gehörst in den Zoo.“ „Ich will aber nicht in den Zoo.“ Die Lektion: Lass deinen Pinguin frei, sperr ihn nicht ein in den Zoo der Kultur, der Religion, der Familie. Oder von dem Dorf, das im Schatten eines großen Berges liegt. Eines Tages geht ein alter Mann daran, mit einem Porzellanlöffel, den Berg abzutragen. „Warum machst du das, wird er gefragt?“ „Irgendjemand muss doch anfangen“, erwidert der Alte.

Ich habe nichts gegen Geschichtenerzähler, ich mag sie sogar. Aber immer wieder macht Jodorowsky Kunstpausen für den Applaus, lächelt selbstverliebt, weil der Applaus natürlich kommt. „Ich möchte, dass ihr den Weg hierher nicht vergebens gemacht habt“, sagt er. „Fragt mich, was ihr wollt.“ Und dann wird es ein bisschen unangenehm-intim. Eine junge Frau steht auf: „Meine Mutter liegt im Sterben, was soll ich tun.“ Jodorowsky geht zu dem Verlagsmann, drückt dessen Kopf an seine Brust, umarmt ihn fest. „Das kannst du tun. Sie in den Arm nehmen, wenn sie stirbt. Es ist ein natürlicher Prozess, du kannst ihn nicht aufhalten.“ „Danke, Meister.“ Sie setzt sich wieder. Jodorowsky analysiert Namen, etwa Linn, das käme von „luna“, sie wäre eine kreative, sensible Persönlichkeit. Mehr als eine halbe Stunde gibt er einzelnen Zuhörern Rat, wie bei einer Gruppen-Therapie, alle hören zu, die Seelen liegen nackt da.

Irgendwann wird es ihm zu viel, wir sollen jetzt alle zusammen eine menschliche Erfahrung machen, wenn ich es richtig verstehe und unsere kleinen Finger miteinander verhaken und in die Höhe strecken. „Für den Frieden“, sagt Jodorowsky, „für den Frieden des Sexus, auch wenn es schwierig ist, für den Frieden der Familie“, etc etc. Die Arme senken sich langsam nach unten. Es sah schön aus, als alle kleinen Finger in der Luft waren. Wirklich schön. Aber mehr Frieden hat es mir nicht gebracht. Ein paar Sätze schwingen in mir nach: „Ich glaube nicht an die politische Revolution, sondern an die poetische Re-Evolution.“ Oder: „Man ist nicht treu aus moralischen Gründen, sondern weil man alles hat, was man braucht.“ Oder: „Die Familie gibt uns Werte, aber auch Fallen.“

Ich quetsche mich durch die vollen Reihen, es reicht mir. Jodorowsky sagte, er wolle einen neuen Film machen, um Geld zu verbrennen: „La dansa de la realidad“. Der Realitätstanz. Mmh. Real erscheint mir hier nur die Begeisterung der Menschen. Der Rest ist Show. Die Lektion habe ich definitiv gelernt.

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Das panamerikanische Ebook http://superdemokraticos.com/laender/argentinien/das-panamerikanische-ebook/ Tue, 29 Nov 2011 05:55:09 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6034 Die Argentinierin Patricia Arancibia lebt schon lange in New York und leitet den Ankauf der internationalen Bücher bei Barnes&Nobles. Die US-amerikanische Buchhandelskette setzt nämlich verstärkt auf die Kaufkraft spanischsprachiger US-Amerikaner und startete im November 2010 den Ebook-Shop Nook español mit 24.000 verkaufbaren Titeln. Denn der Markt ist da, sozusagen panamerikanisch: 50 Millionen US-Latinos leben in den Staaten, 4,8 Millionen in Puerto Rico; im Jahr 2050, schätzt man, werden es 133 Millionen sein. Damit ist die US-amerikanische Latino-Bevölkerung die zweitgrößte nach Mexiko. 35 Millionen US-Amerikaner sprechen Spanisch zu Hause (Zahl von 2008), bereits 2009 waren 26 Prozent der Kinder unter 5 Jahren in den USA spanischsprachig. „Wir vermehren uns schnell“, weiß die Managerin, die mit Zahlen nur so um sich werfen kann. Und sie betont: Die US-Latinos sind nicht technologiescheu: bereits mehr als die Hälfte haben ein Laptop und nutzen Wi-Fi.

Im Mini-Interview gibt sie den Deutschen einen Ratschlag, wie sie ihren derzeit noch weniger als 1 Prozent Ebook-Marktanteil steigern können: Der große Vorteil des deutschen Buchmarktes sei das große Angebot an bereits verfügbaren digitalen Titeln, die Lesegeräte müssten sich nur stärker verbreiten. Leser seien die Deutschen ja zum Glück schon…

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