Javier Badani – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Communication? No, thanks http://superdemokraticos.com/english/communication-no-thanks/ Sat, 09 Oct 2010 17:37:50 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2813

Ch'utas. Foto: http://reyquienlapaz.blogspot.com/2010/02/los-chutas-de-la-paz.html

Strange thing, modernity. I get in touch with my best friend and work colleague more by Facebook than with my natural and talented speech abilities. Therefore, my fingers are supplanting my clumsy lips, and each day my tongue is getting expendable, when we talk about communicating in this digital era. I keep my words more and more hidden in the darkness. And this is a paradox for a social communicator, and even worse when we consider that my friend’s desk is just a meter away from mine.

Did I already tell you, that my work colleague is called Juan? He loves ch’utas (an eccentric urban-rural rhythm, with origin in La Paz, and danced in its streets at Carnival). Through Social Media, Juan has found supporters in distant places like the Czech Republic. Those gringos ask him constantly to upload carnival videos to the website , in which ch’utas music groups as Juventud Súper Elegantes y sus Lindas Mamitas, or the Papitos Choleros (womanizers) y sus Lindas Bellezas Tipo Holandesas. Anyway, he says that his Czech friends have promised him to go to Bolivia in 2011 to dance ch’utas at Carnival’s beginning. I can’t imagine which name are they going to use for their music group.

Jorge is trying to convince me to join one of his internet Austral Whales Sanctuary safeguard groups, there are whales still being killed. “Where’s that?”, I ask him. “No idea”, he answers. Jorge has absolutely no idea where that sanctuary is. He doesn’t even know the sea, but it doesn’t matter. He keeps sending messages to the whole world as “Let the whales live!”, “Long life to the Austral Whales Sanctuary!”.

Those are the advantages of being a part of this contemporary globalism. A society’s cultural expressions, its weaknesses and knowledge, its concerns and happiness are not just its property, are also adopted by other societies. Borders are getting more obsolete each day.

Massive, standardized messages are received at the same time by different people in different places around the world. The more technologically communicated we are, the less communicated we really are. For example, it’s a paradox that all the writers I try to interview for my newspaper do prefer to receive the questions by E-mail rather than to sit in a café and just talk. Then, annotations have no taste at all. They’re not that bad, but you could feel it: no human contact there.

One of today’s global dictatorships is the Internet. If you’re not on Facebook, you’re not part at all of this global neighbourhood. An unconnected person (no social networks, no E-mail) is a pariah, a Mr Nobody without identity in this cyber civilization. The more electronic devices filling our pockets, the better. No matter if they’re useless to us. And mobile phones? Has anybody ever thought how many brilliant minds have been working just to make possible that tiny thing with a tiny screen? What for? To send a text, most of the times. Or just to submit sentences that are unable to form a decent paragraph: “Where are you?” “Getting there”. “Wait for me, wait for me”. We’ll give it a better use, won’t we?


Translation: Ralph del Valle

]]>
Über Lendenschürze, Morenadas und Hip Hop http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/uber-lendenschurze-morenadas-und-hip-hop/ Fri, 01 Oct 2010 06:14:17 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=576

Aymara-Hiphop der Band Wayna Rap. Foto: Javier Badani

Nein, wir tragen keinen Lendenschurz und wir rennen auch nicht mit Pfeilen bewaffnet durch die Gegend. Unsere Frauen tragen auch keinen Obstkorb auf ihrem Kopf und schwingen völlig grundlos die Hüften. Wir Lateinamerikaner sind ein lebensnotwendiger Bestandteil dieses globalen Dorfs, mit Managern in schicken Dreiteilern, die auf der geteerten Undurchschaubarkeit der Down Towns herumlaufen, und mit Jugendlichen auf der Jagd nach dem neuesten MP4 Model.
Die guten und die dummen Taten der ersten Welt bekommen wir alle ab, und wenn wir sie dann erst in unseren Händen haben, drücken wir ihnen diesen typischen Latino-Stempel auf. Unsere Probleme sind genau die gleichen, wie man sie auch auf den Straßen von Milan, Berlin oder New York einatmen kann.

Natürlich gibt es in manchen Bereichen auch Unterschiede, abgrundtiefe sogar. Aber es ist ganz offensichtlich, dass sich dieser Teil der Erde voll und ganz im Prozess der Wieder-Entdeckung befindet, beim Durchpflügen der Erde nach Geschichte, auf der Suche nach seinen Wurzeln, um dadurch erneuert zu starten. Denn auch wenn wir im 19. Jahrhundert komplett von Europa abhängig waren und im 20. Jahrhundert die USA benötigten, um unsere ersten Schritte machen zu können, richten wir heute den Blick auf uns selbst und fragen uns nach unserer Rolle auf diesem Planet, die wir von diesem neuen Jahrtausend an spielen werden. In der Zwischenzeit erklären wir uns zu einem Regenbogen der Ethnien und Kulturen – und sind glücklich über das, was sich auf diesem mestizischen Kontinent zusammenbraut.

Hier gibt es Hip-Hopper der Hocheben (die andine Region Boliviens), sie reimen über ihren indigenen Ursprung auf Aymara, der Sprache ihrer Vorfahren – oder schreien auf Spanisch: „Was geht/ was soll´s/ wir sind die Söhne der Cholas (Mestizen)“ und damit gewinnen sie ihr urbanes chola-Naturell zurück.

Wir haben Staatsoberhäupter wie Evo Morales, Hugo Chávez oder Lula da Silva, die – mit all ihren Nuancen, Wertstürzen und Risiken – eine Art und Weise der Politik errichten, die zum ersten Mal auch jene sozialen Schichten einschließt, die von der Geschichte des Kontinents seit der Ankunft der europäischen Eroberer missachtet wurden. Von jetzt an werden diese Teile der Gesellschaft es nie wieder zulassen, dass sich die Geschichte wiederholt.

Natürlich sind unsere Herausforderungen enorm, genau wie unsere Widersprüche. Von den militärischen Stiefeln, die uns in den 70ern unterdrückten, unterliegen wir nun der Diktatur der Kartellbosse des Drogenhandels, das sind nun die neuen Pinochets, Somozas und Trujillos von damals. Wir sind eine der Regionen mit dem größten wirtschaftlichen Potential, dennoch schafft die Armut Absurditäten, wie beispielsweise, dass eine komplette Ortschaft des Hochlands ihr Territorium zur Freihandelszone für den illegalen Handel erklärt, Polizisten lyncht und damit die Abwesenheit der staatlichen Macht zelebriert.

Dennoch, die kilometerlangen Supermärkte im Stil der ersten Welt schaffen es nicht, mit unseren bunten Straßenmärkten zu konkurrieren. Genauso wenig, wie es die maßlosen Fastfood-Ketten mit ihren Hamburgern mit doppelt Fleisch geschafft haben, diesen besonderen Genuss auszurotten, den der Geschmack eines kreolischen Gerichts in einer Markthalle hervorruft. Denn es wird für die Lateinamerikaner immer schöner sein, sich die Arterien unserer Städte anzueignen, um dort unsere Folklore mit mehr Inbrunst zu tanzen, als wir das in einer Disko tun könnten. Denn es wird für die Lateinamerikaner immer schöner sein, auf der Straße zum Rhythmus einer bolivianischen Morenada, einer dominikanischen Bachata oder einer kolumbianischen Cumbia zu tanzen, als zu den elektronischen Beats und den rockigen Gitarren.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

]]>
Kommunikation? Nein danke http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/kommunikation-nein-danke/ Mon, 20 Sep 2010 06:10:36 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2001

Ch'utas. Foto: http://reyquienlapaz.blogspot.com/2010/02/los-chutas-de-la-paz.html

Komische Sache, die Modernität. Ich kommuniziere mit meinem engen Freund und Arbeitskollegen mehr über Facebook als über meine natürliche und angeborene Fähigkeit des Sprechens. Meine Finger ersetzen meine ungeschickten Lippen, und meine Zunge wird von Mal zu Mal bei meinem Mitteilungsbedürfnis in dieser digitalen Ära entbehrlicher. Immer häufiger halte ich das Wort im Halbdunkeln gefangen. Ein ständiger Widerspruch für einen Kommunikationswissenschaftler, und dieser verschlimmert sich noch, wenn man bedenkt, dass der Schreibtisch meines Freundes weniger als ein Meter von meinem entfernt ist.

Hab ich euch schon erzählt, dass mein Arbeitskollege Juan heißt? Er liebt ch’utas (ein Rhythmus, der ruralen-urbanen Folklore, dessen Ursprung La Paz ist, und den man dort während des Karnevals auf den Straßen tanzt). Durch soziale Netzwerke hat es Juan geschafft Anhänger dieses Rhythmus aufzutreiben, sogar in weit entlegenen Orten wie der Tschechischen Republik. Die Ausländerchen bitten ihn permanent, er solle auf seiner Webseite Videos vom Karnevalseinzug postet, in denen man Karnevalstruppen beim ch’utas-Tanzen sehen kann; Gruppen, wie beispielsweise die Juventud Súper Elegantes y sus Lindas Mamitas (die super elegante Jugend und ihre schönen Mamis) und die Papitos Choleros (mujeriegos) y sus Lindas Bellezas Tipo Holandesas
(Weiberhelden Papas und ihre hübschen Schönheiten holländischer Art). Nun gut, er hat erzählt, dass die Tschechen versprochen haben, 2011 nach Bolivien zu kommen, um beim Karnevalseinzug ch’utas zu tanzen. Wer weiß, wie sie ihre Karnevalstruppe nennen werden.

Jorge überzeugt mich gerade, mich einer seiner Internetgruppen zur Erhaltung der Walschutzgebiete im Südpolarmeer anzuschließen, wo permanent weiter Wale getötet werden. „Und wo liegt das?“ frage ich ihn. „Keine Ahnung“, antwortet er mir. Jorge hat nicht die geringste Ahnung wo dieses Walschutzgebiet liegen könnte. Er kennt nicht mal das Meer, aber das ist egal. Er ist immer dabei, Botschaften in die Welt zu schicken wie „Lasst die Wale leben!“ und „Es lebe das Walschutzgebiet im Südpolarmeer!“.

Das sind die Vorteile, wenn man Teil der kontemporären Globalisierung ist. Die kulturellen Äußerungen einer Gesellschaft, ihre Schwachstellen und ihr Wissen, ihre Sorgen und ihre Freuden sind nicht mehr nur deren Eigentum, sondern werden sich auch von den anderen angeeignet. In dieser Ära sind Grenzen jedes Mal mehr überholt.
Standardisierte Massenmails werden im selben Moment von verschiedenen Personen, an unterschiedlichen Orten der Welt empfangen. Aber je mehr wir technologisch in Kommunikation stehen, desto weniger kommunizieren wir tatsächlich. Es ist beispielsweise ein Widerspruch, dass es die Autoren, die ich für die Zeitung interviewe, vorziehen, sich meine Fragen per Mail zukommen zu lassen, anstatt dass wir uns in einem Cafe treffen und uns unterhalten. Und dadurch entstehen Beiträge, die schlussendlich fade sind. Das bedeutet nicht, dass sie schlecht sind, aber sie machen das Fehlen des menschlichen Kontaktes deutlich.

Eine der globalen Diktaturen ist das Internet. Wenn du nicht bei Facebook bist, bist du nicht Teil dieses globalen Dorfes. Und jemand, der nicht in einem sozialen Netzwerk angemeldet ist und nicht einmal eine E-Mailadresse hat, ist ein Paria, ein Niemand, ohne Identität in dieser Cyberzivilisation. Je mehr elektronische Artefakte unsere Taschen füllen, desto besser. Es ist unwichtig, dass sie nicht von größtem Nutzen sind. Und die Handys? Hast du schon mal darüber nachgedacht, wie viele brillante Gehirne wohl daran gearbeitet haben, dass wir dieses Ungeziefer mit Display an unserer Seite haben? Und wofür verwenden wir es? Einen Großteil der Zeit dafür, Textmitteilungen zu schreiben. Oder nur um Sätze zu senden, die keinen anständiges Gespräch ergeben werden, wie: „Wo bist du“. „Ich komme gleich“. „Warte auf mich, warte auf mich.“ Wir können ihm einen besseren Nutzen geben, glaubst du nicht?

Übersetzung: Barbara Buxbaum

]]>
Erschießen wir sie? http://superdemokraticos.com/themen/burger/erschiesen-wir-sie/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/erschiesen-wir-sie/#comments Mon, 06 Sep 2010 15:02:01 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1615 Melquiades Suxo war der letzte Bolivianer, der zur Todesstrafe verurteilt wurde. Eine zehnköpfige Polizeieinheit beendete sein Leben in den frühen Morgenstunden des 31. August 1973. Er starb, ohne das Warum jener richterlichen Entscheidung tatsächlich richtig verstanden zu haben.

Sein Opfer war María Cristina Mamani, die nur vier Jahre alt geworden war. Die Minderjährige war entführt und wiederholt von Suxo und seinem Sohn Nazario (14) vergewaltigt worden. Die Autopsie bewies außerdem, dass das Mädchen mindestens zwei Tage lang – auf bestialische Art und Weise – körperlich misshandelt worden war. Auf dem toten Körper des Mädchens wurden Spuren von Gürtelschnallen an den Beinen und Bisswunden auf dem Rücken gefunden. Wenn es nach dir gegangen wäre, lieber Leser, hättest du Melquiades zur Todesstrafe verurteilt? Nein?

Und wenn ich dir sagen würde, dass dieser Mann, bevor er sich an Maria verging, seine sexuellen Bedürfnisse jahrelang auf der Haut seiner Tochter Dionisia (12) befriedigt hatte? Würdest du deine Meinung ändern? Immer noch nicht?

Und wenn ich dir außerdem erzählen würde, dass Melquiades seinen Sohn gezwungen hatte, seine eigene Schwester vor der Augen des Vaters immer und immer wieder zu belästigen? Was würdest du dazu sagen? Erschießen wir ihn standesrechtlich?

Einige Bürgerinitiativen versuchen, die Todesstrafe wieder in der nationale Gesetzgebung zu verfestigen. Und tatsächlich wird die Todesstrafe de facto umgesetzt. Die Nachrichten über Lynchjustiz (außergerichtliche Hinrichtungen, die von der Bevölkerung selbst durchgeführt werden) sind das tägliche Brot, vor allem in den urbanen und ruralen Gegenden mit knappen wirtschaftlichen Mitteln. Weil wegen eines simplen Handydiebstahls und in Abwesenheit der staatlichen Ordnungshüter ihre Töchter vergewaltigt und Familienmitglieder ermordet werden, entschlossen sich einige Nachbarschaften dazu, die Gerechtigkeit selbst in die Hand zu nehmen.

Der aktuellste Fall hat das Land erschüttert. Vier Polizisten wurden von der Gemeinde Saca Saca (Potosí) entführt und mit Prügeln und Steinen totgeschlagen. Alles deutet darauf hin, dass die Uniformierten es gewohnt waren, die dortigen Dorfbewohner zu erpressen. Der Tod eines jungen Bauern aus der Gemeinde durch die Hand dieser staatlichen Mächte brachte das Fass zum Überlaufen.

Natürlich, Unschuldige sind durch die menschliche Wut gestorben. In einem Randviertel von Cochabamba wurde 2008 ein 16jähriger Student für einen Kriminellen gehalten. Ohne irgendwelche Erklärungen zuzulassen – er kam zum ersten Mal in dieses Viertel, um seiner Klassenkameradin seine Liebe zu gestehen – fesselte ihn die Menge an einen Pfahl, folterte ihn und verbrannte ihn schlussendlich bei lebendigem Leibe. Diese Reaktion der Leute beruhte darauf, dass die Polizei zwei Jahre zuvor einen anderen Mann freiließ, der in dem Viertel mehrere Mädchen vergewaltigt hatte. Der sexuell Kranke veränderte, nachdem er aus dem Gefängnis freikam, seinen Wohnort, beging dort weitere sexuellen Übergriffe und wurde schlussendlich in dieser anderen Gegend gesteinigt.

Was soll man tun?

Eine Gesellschaft sollte ihre Straftäter bekämpfen. Heute ist man sich darüber einig, Kriminelle ihrer Freiheit zu berauben. Die Idee dahinter ist, dass man durch die Strafe die geläuterten Bürger wieder in die Gesellschaft integrieren kann. Aber ich frage: Kann man einen Vergewaltiger und Mörder einer Minderjährigen tatsächlich umerziehen? Ich bezweifle das, und berufe mich auf spezifische Fälle. Meiner Meinung nach ist bei Extremfällen wie dem des Melquiades Suxo – bei dem Vergewaltigung, Folter und der Tod von Kindern vorkommen – die Anwendung der Todesstrafe voll und ganz gerechtfertigt. Was für eine andere Lösung könnte es geben? Den Aggressor in eine psychiatrische Anstalt zu sperren, um von der Gesellschaft, die er belästigt hat, versorgt zu werden?

Erlaubt mir die Diskussion mit diesem Artikel zu eröffnen.

Foto del último boliviano ejecutado. Foto de El Diario, de agosto de 1973

Foto del último boliviano ejecutado. Foto de El Diario, de agosto de 1973

Übersetzung:
Barbara Buxbaum

]]>
http://superdemokraticos.com/themen/burger/erschiesen-wir-sie/feed/ 3
Liebes, ich muss es dir gestehen: Ich betrüge dich mit ein paar Königinnen http://superdemokraticos.com/themen/burger/liebes-ich-muss-es-dir-gestehen-ich-betruge-dich-mir-ein-paar-koniginnen/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/liebes-ich-muss-es-dir-gestehen-ich-betruge-dich-mir-ein-paar-koniginnen/#comments Mon, 23 Aug 2010 08:32:53 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1048 Niemand kann mich in letzter Zeit von meinen Lastern und Süchten abhalten. Das Ungeziefer des Pokerns, das gebe ich zu, hat sich tief in meine Knochen eingefressen, genauso wie früher das Rheuma in die kraftlosen Körper all meiner Vorfahren. Nacht für Nacht schalte ich die Realität aus und unterwerfe mich der Diktatur der Karten, in irgendeinem Lokal in La Paz, das Texas Hold’em Turniere anbietet. Meine Frau ist sich sicher, dass in meinem Fall alles verloren ist und bald der Tag kommen wird, an dem ich sie am Tisch als Spieleinsatz verwetten werde (diese Idee, muss ich gestehen, missfällt mir in manchen Momenten gar nicht so sehr).

Mich reizt die heimliche Aura, die von dem Spiel und seinen Spielern ausgeht. Im Gegensatz zu anderen Ländern in der Gegend wird Poker in Bolivien mit großem Argwohn betrachtet. Kartenspielen hat keine lange Tradition und besitzt wegen seiner Darstellung in vielen Hollywoodfilmen einen schlechten Ruf. Zu sagen, man sei ein Verehrer dieses Spiels, ist genauso, als stelle man sich den Eltern der Freundin als Rockstar vor.

Trotz alledem hat das Pokern in Bolivien in den letzten Monaten stark zugenommen. Für dieses Phänomen sind auch die dafür vorgesehen Sendungen für Turniere im internationalen Kabelfernsehen, die sich in den USA und in Europa entwickeln, sehr hilfreich. Genau wie die kostenlosen Seiten, die man im Internet findet. Ich praktiziere es seit einem Jahr, was mich zu einem einfachen Amateur macht, der sein Lehrgeld bezahlt. Als Profi anerkannt zu werden, erfordert jahrelange Übung. Ist man einmal auf diesem Olymp, ist der Rest Peanuts.

Vor allem fasziniert es mich, wie die Spieler an einem Pokertisch einen Umriss der Gesellschaft, in diesem Fall der bolivianischen, bilden können. Hier sitzt Sergio, der erfolgreiche Unternehmer, der voller Stolz seine Goldketten und seinen wohlgenährten Geldbeutel trägt, der sich Zeit nimmt, um Spielstrategien zu entwickeln, die ihn zum Erfolg bringen sollen. Neben ihm Carlos, ein Studentenführer mit trotzkistischen Einflüssen, der regelmäßig Demonstrationen gegen den Kapitalismus organisiert, der keine Angst hat jeden Einsatz mitzubieten, auch wenn das dazu führt, das er den Tuniertisch schnell und gewaltsam verlassen muss.

Zu meiner rechten sitzt Manuel, der aufstrebende Politiker, der keine Gelegenheit auslässt, um mit seinen Karten zu bluffen, egal, wie schlecht diese auch sind. Er, das muss man ihm zugestehen, geht fast immer erfolgreich aus dem Spiel. Neben ihm hat sich Roxana, die über 50jährige Witwe, niedergelassen. Sie findet keine bessere Art und Weise, die Rente ihres Verstorbenen auszugeben, als diese zum Wetteinsatz zu machen, immer dann, wenn sie ein gutes Blatt in der Hand hält. Ihr geht es trotzdem nicht ums Gewinnen; sie hat ein größeres, dringenderes Bedürfnis: ihre Einsamkeit auszulöschen. Und ja, da bin natürlich auch noch ich, derjenig,e der seine Geschichten in journalistischen Notizen erzählt, und davon träumt, eines Tages nicht mehr arm zu sein und ein Pokerturnier in Las Vegas zu gewinnen.

Aber all diese Unterscheide, die ich gerade aufgezählt habe, bleiben draußen vor der Tür des Lokals. Hier, am Pokertisch haben sich die zehn Spieler aller sozialen Vor- und Nachteile entledigt. Es gibt keine Unterschiede mehr, die eine Bedeutung hätten. Wir steigen alle mit der selben Anzahl an Pokerchips ein und haben alle die gleichen Chancen das Spiel erfolgreich oder pleite zu beenden. Wäre es nicht toll, wenn das Leben so einfach wäre? Bedauerlicherweise ist esnicht so.

Entgegen aller gegensätzlichen Meinunge  ist Poker ein Strategiespiel: das Glück und der blinde Zufall am Spieltisch sind viel zu vorübergehend und schwer greifbar. Und wie immer im Leben muss man nachdenken, um zu gewinnen, den Geist des Gegners beeinflussen, um ihn zu besiegen. Die Karten des Gegners sind tatsächlich eher unwichtig, viel wichtiger ist, dass man ihn glauben lässt, dass du bestimmte Karte in deiner Hand hast.

Ok, jetzt hab ich so viel über Poker gesprochen, dass es mich wieder in den Fingern juckt. Ich verlass euch jetzt, ich hab nämlich noch ein Date mit ein paar Königinnen (Q, Q).

Übersetzung:
Barbara Buxbaum

]]>
http://superdemokraticos.com/themen/burger/liebes-ich-muss-es-dir-gestehen-ich-betruge-dich-mir-ein-paar-koniginnen/feed/ 2
Help! Eine Göttin hat sich neben mich gesetzt! http://superdemokraticos.com/themen/koerper/help-eine-gottin-hat-sich-neben-mich-gesetzt/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/help-eine-gottin-hat-sich-neben-mich-gesetzt/#comments Mon, 09 Aug 2010 07:08:47 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=593

Eingeklemmt im Trufi. Foto: Javier Badani

Schwitzen. Meine Hände schwitzen. Eine Göttin hat sich gerade neben mich in das Trufi gesetzt und ich versuche alles, um meine Schüchternheit abzuschütteln, während ich ihren Körper aufgrund des Fahrzeuggeruckels berühre. Was? Du weißt nicht was ein Trufi ist? Ich erkläre es dir: Das ist ein sehr spezielles, öffentliches Transportmittel, das in La Paz das Zentrum mit dem Süden der Stadt verbindet. Die Fahrer benutzen dazu klassische, viertürige Limousinen von Toyota. Um mehr Geld zu verdienen, haben sie einen extra „Sitz“ (besser gesagt ein Kissen) im vorderen Teil des Autos eingebaut. Somit kann man die eigentliche, über Jahre entwickelte Idee jener japanischen Ingenieure, ein Auto zu konzipieren, in dem vier Personen bequem transportiert werden können, vergessen. Hier hat der kreolische Erfindungsgeist einen Platz für einen zusätzlichen Passagier hinzugefügt. Verstehst du jetzt mein Problem? Hier bin ich, in der Mitte des Sandwichs, ich kann nichts mehr bewegen außer meinen Kopf, noch wesentlich eingequetschter als eine Sardine in ihrer Dose.

Zu meiner Linken der stinkende Fahrer des Trufi, der mir immer wieder gegen das Knie schlägt, wenn er schaltet. Meine linke Seite fühlt sich angegriffen.

Und zu meiner Rechten eine Zwanzigjährige, die nach Frühling riecht und deren linkes Beine und ihr linker Arm mit mir zusammenstoßen, mich im Geschaukels das Autos schlagen. Meine rechte Seite will angreifen.

Sie hat so weiche Haut, das merke ich an dem Teil des Armes, der mich hin und wieder berührt. Und es scheint, als hätte sie…nein, sie hat wirklich ausgeprägte Hüften, und ich habe das Gefühl, dass diese mit meinen verschmelzen wollen, jedes Mal wenn das Trufi eine enge Kurve nimmt. Ich schließe die Augen und versuche, diesen Moment an ihrer Seite zu genießen und gleichzeitig bemühe ich mich, die lästige Anwesenheit des Körper des Fahrers zu verdrängen. „Was für seltsame Sachen diese Haut, der Körper“, sage ich mir. Schon ein ganz geringer Kontakt reicht aus, eine physische und psychische Reaktion auszulösen, deren Ende nicht absehbar ist. Und diese Hände, die nicht aufhören zu schwitzen. Tatsächlich fühlt sich mein Körper so an, als hätte er sich verflüssigt.

Kurven hierhin und Kurven dahin. Zweifellos werden auf dem Vordersitz eines Trufis über den Tag verteilt Dutzende Körperschlachten ausgetragen.

In diesem Fall versucht der fünfte Körper – also meiner – verzweifelt, sich dem Kontakt mit den pummeligen Körperteilen des Fahrers zu entziehen. Diesen Kampf, muss ich zugeben, kann ich nicht gewinnen.

Auf der anderen Seite dagegen entwickelte sich ein interessanter Dialog zwischen meinen Armhärchen und denen der Zwanzigjährigen, die nach Frühling duftet. Sie sprechen miteinander, sie berühren sich. „Irgendwie muss man ja anfangen“, ermuntere ich mich.

Plötzlich das abrupte Ende: „Ich steig an der Ecke aus!“ sagt das Mädchen zum Fahrer. Das Trufi hält, die Göttin steigt aus und mein Körper schwitzt nicht mehr, er weint jetzt.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

]]>
http://superdemokraticos.com/themen/koerper/help-eine-gottin-hat-sich-neben-mich-gesetzt/feed/ 3
Kampf der Geschlechter http://superdemokraticos.com/themen/koerper/kampf-der-geschlechter/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/kampf-der-geschlechter/#comments Sun, 25 Jul 2010 07:00:49 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=519

Aus einer Rotkäppchen-Modestrecke. Foto: Javier Badani

Was würdest du lieber sein Mann oder Frau? „Was für eine Frage”, raunten mir meine Testosterone ins Ohr und fragten mich: „Sag mal, kannst du dir vorstellen dir jeden Abend die Zehennägel zu lackieren oder dir jedes Mal die Beine zu epilieren, wenn sich ein Date abzeichnet? Keine andere Chance zu haben, als vor der Damentoilette Schlange zu stehen? Immer dem Blick der Tante ausweichen zu müssen, der dich fragt, warum du mit 35 immer noch Single bist? Jeden Monat Binden mit Flügelchen tragen zu müssen oder zu wissen, dass die Größe deiner Brüste der ausschlaggebende Faktor bei einem Bewerbungsgespräch ist? Kein Frage, Bruder, es ist das Beste ein Männchen zu sein.“

Eine gute Darlegung, antwortete ich.

Aber urplötzlich begannen ein paar Östrogene anzugreifen. Sie kramten aus meiner Erinnerung das Foto von jenem Tag hervor, an dem meine Großmutter meinen Vater als Frau verkleidet hatte. Er war sechs und posierte mit einer schwarzen Perücke und einem eleganten weißen Unterrock vor ihrer Kamera. War es wirklich er, der auf diesem Foto lächelte? Ich glaube schon. Und daraufhin argumentierten die Östrogene: „Stell dir vor, du musst weder obligatorisch Fußball mögen, um zu deinen Freunden zu passen, noch musst du andere schlagen, um dir Respekt zu verschaffen. Du musst dir nicht ständig Sorgen über die Größe deines Gliedes machen oder darüber ob deine Partnerin einen Orgasmus hatte oder nicht. Du musst nicht ständig dem Blick deines Onkels ausweichen, der dich fragt, warum du mit 21 immer noch Jungfrau bist. Du kannst sicher sein, dass du dir die Haare färben und einen Ohrring stechen lassen kannst, ohne Angst haben zu müssen, dass du dadurch als homosexuell abgestempelt wirst. Na also, siehst du nicht, dass es nichts Besseres auf der Welt gibt, als eine Frau zu sein?

Gute Argumentation, geb ich ihnen zu verstehen.

Auf einmal verstrickten sich Testoterone und Östrogene in eine unerbittliche Diskussion. Das Schlachtfeld war mein noch in Entwicklung steckender Körper, diese kleine Masse Flüssigkeiten geschützt im Schoß meiner zukünftigen Mutter; ein neues Wesen, das sich dem Leben stellen muss – in der Haut eines Mannes oder der einer Frau. „Was von den beiden denn nun?“, fragte ich mich. „Ist es denn nicht schon genug, sich als Mensch zu deklarieren?“ Natürlich nicht! Männer und Frauen stecken tief im Kampf um die Herrschaft übereinander. Auf der einen Seite stehen die Männer mit dem jahrhundertelangen Vorteil und unter dem Schild des retrograden Machismus, der seit Beginn der Zeitrechnung gefördert und von den Religionen wie ein Sakrament propagiert wurde, wie zum Beispiel im jüdisch-christlichen Glauben, in dem die Frau immer schon ein minderwertiges Wesen war und sein wird. Auf der andern Seite stehen die Frauen, die versuchen mit ihren Talenten Räume zu erobern, die aber auch nicht davor zurückschrecken, sich an die schärfsten Grundsätze des Machotums zu halten, wenn es ihnen nutzt.

Testosteron und Östrogene können mit ihrem Kleinkrieg gerne weitermachen. Ich zumindest komme zu dem Ergebnis, dass es eine verbissene Diskussion ist, auf die nie eine befriedigende Antwort gefunden werden wird. Denn genauso wie es Männer gibt, die Schufte sind, gibt es auch bösartige Frauen; und genauso wie es fähige Männer gibt, gibt es auch fähige Frauen.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

]]>
http://superdemokraticos.com/themen/koerper/kampf-der-geschlechter/feed/ 3
Adam und Eva im Amazonas http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/adam-und-eva-im-amazonas/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/adam-und-eva-im-amazonas/#comments Mon, 12 Jul 2010 18:53:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=443 Das irdische Paradies hat real existiert und lag in der Neuen Welt. Das versicherte zumindest der spanische Historiker Antonio de León Pinelo im 17. Jahrhundert, der – indem er sich auf Passagen aus der Bibel bezog – zu der Schlussfolgerung kam, dass Gott keinen geeigneteren Ort gefunden habe, um seinen Garten Eden zu errichten als den amazonischen Regenwald, der sich heute über Bolivien, Brasilien und Peru erstreckt. Und wer würde schon die Worte eines Historikers in Frage stellen?

Die Eroberer fanden bald Dinge in der Natur, die diese Theorie stützten. In den Papageien sahen sie beispielsweise den Beweis der Existenz jener „sprechenden Vögel‘, die im Werk ihres Landsmannes beschrieben wurden. Auf diese Weise wurde eine Lawine losgetreten, die nicht mehr zu bremsen war: Die Eroberer glaubten an Pinelo, Spanien glaubte an seine Eroberer und Europa glaubte an ihre Spanier. Schlussendlich wurde während des gesamten 17. Jahrhunderts geglaubt, dass sich der Garten Eden auf südamerikanischem Boden befände.

Könnt ihr euch Adam und Eva dunkelhäutig vorstellen, wie sie Taitetús (Bergschweine) mit Kochbananen verschlingen und sich in den schlängelnden Flüssen des Amazonas baden? Oder wie sie die Früchte des verbotenen Baumes (jener da, von der Erkenntnis des Guten und des Bösen) mit andinen Händlern gegen Kokablätter eintauschen? Oder vielleicht wie Kain, nachdem er Abel ermordete, in Richtung Nordamerika flieht?

Ich finde die Idee verführerisch, aber meine Mutter würde sich sicherlich umbringen, wenn sie die Theorie bestätigt sehen würde, dass ihre Vorfahren kleine Dunkelhäutige aus dem Urwald waren und nicht diese blonden und stolzen Blankoiden mit ihren perfekten Körpern und ihrem europäischem Antlitz, wie sie in der Bibel auf ihrem Nachttisch abgebildet sind, (also besser: pssst!).

Es ist schon komisch, welche Wendungen die Geschichte manchmal nimmt, findet ihr nicht? In vielen Fällen wird sie nur durch eine einzelne Aussage geboren, verwandelt sich in eine kollektive Vorstellung und endet schließlich als historische Wahrheit. Einige Wahrheiten mutieren und verschwinden wieder, wie das mit der Theorie über den südamerikanische Garten Eden der Fall war. Diese unterlag letztendlich der wissenschaftlichen Theorie, die Afrika als die Wiege der Menschheit sieht.

So etwas passiert jeden Tag und mit den alltäglichsten Dingen: Zum Beispiel, dass man beim Sex in einer Badewanne mit heißem Wasser garantiert nicht schwanger werden kann. Dass es im Winter eine höhere Selbstmordrate gibt. Dass Männern, die masturbieren, ein Haar auf der Handfläche wächst. Dass die Brüste von Selma Hayek falsch sind…Letztlich gibt es Themen jeder Couleur und für jeden Geschmack und es hängt von jedem einzelnen ab, ob er sie glauben oder verwerfen will; oder aber auch, ob er sie erfinden will.

Wie wäre es, wenn wir uns von den „Superdemokraticos“ aus vornehmen, ein solche Vorstellung ins Leben zu rufen? Und sie solange im Netz streuen, bis sie eine unanfechtbare Wahrheit ist? Ich schlage vor, wir versichern allen, dass Grenzen schädlich für die Gesundheit des Planeten sind. Und du? Was schlägst du vor?
MORENADA MIX 2010

Übersetzung: Barbara Buxbaum

]]>
http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/adam-und-eva-im-amazonas/feed/ 2
Seelenlos/ Geschichtslos http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/seelenlos-geschichtslos/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/seelenlos-geschichtslos/#comments Tue, 22 Jun 2010 10:13:49 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=272 Man nehme eine Handvoll aristokratischer Großgrundbesitzer, füge eine Scheibe von Repräsentanten der kaufmännischen Bourgeoisie dazu, würze dies mit einer Prise katholischem Klerus, der sich die Zeiten der Monarchie wieder zurück wünscht und koche sich damit ein Land. Nein, das ist kein Scherz. 1825 entschlossen sich ein paar traditionelle Nutznießer der spanischen Kolonie, eine Republik zu gründen. Sie nannten sie damals Bolívar, heute heißt sie Plurinationaler Staat Bolivien. Die „Väter der Heimat“ hatten damals die Befürchtung, dass die „barbarischen“ Heerscharen der Rebellen in Großkolumbien – angeführt von Simón Bolívar – die Privilegien, die sie im Hoheitsgebiet Hoch-Peru dank der Spanischen Krone genossen hatten, abschaffen würden. Ihre Lösung? Ein Land gründen. Es gab weder etwas Romantisches in der Gründung Boliviens, noch war es für sie wichtig, die Basis für ein demokratisches Land und für das Wohl der Bewohner zu schaffen. Doch genauso wird es bis heute an den Schulen und Universitäten gelehrt.

Die große Mehrheit der indigenen Bevölkerung, die damals 95 Prozent der Bevölkerung ausmachte, blieb nach der Geburt Boliviens ausgeschlossen. Keiner ihrer Repräsentanten war bei der Gründung des neuen Landes dabei, obwohl sie bei dem tatsächlichen Befreiungskampf die Hauptakteure gewesen waren. Somit wurden den „Seelenlosen“ auch in dem funkelnagelneuen Land dieselben Rollen zugeschrieben, die ihnen auch schon von den Spaniern aufgezwungen worden waren. Und zwar waren sie: a) eine kostenlose Arbeitskraft in den Minen, sowie auf privaten und kirchlichen landwirtschaftlichen Flächen, b) eine unerschöpfliche Quelle zur Stärkung der nationalen Wirtschaft durch Steuern wie den Kirchenzehnter und die Abgabe des ersten Teils der Ernte c) eine einfache folkloristische Dekoration, die ab und zu auf ihren Flöten spielt.

Und so kam es, dass um 1825 von den wahren Helden der Unabhängigkeitskämpfe, diejenigen, die über 15 Jahre hinweg an der Seite der Indigenen alles geopfert hatten – auch ihre Familien und Besitztümer – fast keiner mehr übrig war. Das Land war zwar befreit von dem spanischen Joch, aber es gab auch keine Anführer des Freiheitskampfes mehr und somit lag das Schicksal in den Händen der „Herren Akademiker“. Bolivien wurde aus dem Ehrgeiz einer Schicht von Weißen und Mestizen geboren, die weiterhin die ursprüngliche Bevölkerung ausnutze, sie absichtlich aus der Geschichtsschreibung ausschloss und mit dieser Logik das Fundament für die ersten republikanischen Institutionen legte.

Nicht einmal der Befreier selbst, Bolívar, konnte diese Ausbeutung abschaffen, obwohl er zum Präsidenten der jungen Republik, die seinen Namen trug, ernannt wurde. Als er 1825 in das Land kam, war eine seiner ersten Amtshandlungen eine Verordnung, laut der es den „politischen und religiösen Autoritäten, sowie generell den Grundbesitzern, verboten wurde, die Arbeitskraft der Indigenen bei der Feldarbeit nach dem System der pongueaje und mitaje (ein System der Zwangsarbeit und des Arbeitsdienstes) auszunutzen, es sei denn, es war zuvor ein freier Vertrag über das Gehaltes ihrer Leistungen geschlossen worden.“ Es ist überflüssig zu erwähnen, dass diese Verordnung in den Annalen des Vergessens des neuen Landes archiviert wurde. Außerdem: Wer war der karibische Kämpfer eigentlich, um die Gesetze zu ändern, die in Hoch-Peru schon seit über 300 Jahren galten?

VOM HIMMELREICH IN DIE HÖLLE

„Der Indio (…) isst vom Eigenem, was er zum Leben braucht und vom Fremden, bis er platzt: Er lebt um zu leben und schläft ohne Maß; er glaubt nur an das Falsche und lehnt die Wahrheit ab: er wird aus Dummheit krank und stirbt, ohne Gott zu fürchten.” Dies schrieb ein Bürger von La Paz in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Seine Worte wurden von dem bolivianischen Geschichtsschreiber Ramiro Condarco wieder gefunden und zeigen deutlich die spürbare Verachtung gegenüber den Aymaras – den Indigenen des bolivianischen Westens.

Diese Verachtung veranlasste die Autoritäten und Historiker jener Zeit, wichtige bolivianische Persönlichkeiten des ausgehenden 19. Jahrhunderts einfach zu übergehen. Einer von ihnen war Zarate Willca. 1889 begann die politische Elite in den Departements La Paz und Chuquisaca einen internen Kampf um die Macht, der die föderale Revolution einleitete. Die liberale Aristokratie aus La Paz lehnte sich gegen die Regierung von Fernández Alonso auf, ohne finanzielle oder kriegerische Mittel zur Verfügung zu haben. Ihre Anführer suchten verzweifelt die Unterstützung der indigenen Bevölkerung, indem sie ihnen fundamentale Verbesserungen für ihr Lebens versprachen. Dabei reichte es nicht aus, von den Indigenen ihre Arbeitskraft und wirtschaftliche Beiträge zu fordern, diesmal war ein Blutzoll nötig. Angeführt von Zarate Willca übernahmen Tausende von Aymaras die föderalen Ideale der Politiker aus La Paz und halfen ihnen, die Konstitutionalisten zu besiegen.

Nach den Siegen auf den Feldern der Hochebene waren nichtsdestotrotz „die Revolutionäre selbst die ersten, die den verachtenswerten und sträflichen Versuch begingen, die historische Wahrheit zu verfälschen, indem sie ihren Anteil und die Mitverantwortung an dem Aufstand der Indigenen nicht anerkannten und verleugneten – sogar schon zu einem Zeitpunkt, wo sie den Schauplatz des unglückseligen Geschehens, das sie angestiftet hatten, noch nicht einmal verlassen hatten,“ schrieb Ramiro Condarco, der im 20. Jahrhundert die indigenen Anführer, die an diesem Ereignis teilnahmen, aus dem Halbdunkel der offiziellen Geschichte hervorholte.

Damit war der Bürgerkrieg beendet, aber es begann eine Rebellion der Aymaras. Die große indigene Bevölkerung glaubte, dass der Sieg sie dazu ermächtigen würde, die von ihnen angestrebten Forderungen, wie die Zurückgabe ihres ursprünglichen Gemeindelandes, durchzusetzen. Das hatten ihnen die Konservativen aus La Paz im Gegenzug für ihre Unterstützung im Krieg zugesichert. Die indigenen Anführer wurden verfolgt und ihre Teilnahme an dem föderalistischen Krieg wurde verleugnet. Kein einziges offizielles, öffentliches Dokument aus jener Zeit dokumentierte die Wahrheit über die indigene Beteiligung. Zarate Willka wurde wegen der Maßlosigkeit, die sich andere indigene Anführer in ihrer Verzweiflung zu Schulde kommen ließen, verurteilt und Jahre später hingerichtet, ohne sich zu diesen Anschuldigungen äußern zu können.

Vor kurzem wurde die ursprüngliche Bevölkerung Boliviens erneut von der politischen Elite zusammengerufen. Der Präsident Evo Morales –selbsternannter erster indigener Präsident des Landes- wandte sich ebenfalls an sie und erbat ihre Hilfe, um das ‚neoliberale‘ Lager zu besiegen und die Macht zu übernehmen. Aber die Geschichte wiederholt sich. Die Repräsentanten der indigenen Ethnien, die ein Amt inne haben, das ihnen die Macht geben würde, über das Schicksal des Landes zu entscheiden, lassen sich an einer Hand abzählen. Im Vergleich dazu würden die Zeigefinger aller Einwohner Berlins nicht dazu ausreichen, die Zahl der Indigenen, die in Armut leben, anzuzeigen. Es sind immer noch die Söhne der weißen und mestizischen „Herrn Akademiker” des 19. Jahrhunderts, die an der Macht sind und die sich ausgesprochen wenig für die ländliche, indigene Bevölkerung interessieren.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

]]>
http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/seelenlos-geschichtslos/feed/ 3
Experimentell und aus der Not heraus vielseitig verwendbar http://superdemokraticos.com/poetologie/ich-bin-experimentell-und-aus-der-not-heraus-vielseitig-verwendbar/ http://superdemokraticos.com/poetologie/ich-bin-experimentell-und-aus-der-not-heraus-vielseitig-verwendbar/#comments Thu, 17 Jun 2010 13:27:15 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=262 Egal wie oft ich auf meinem Stuhl hin und her rutsche, wie viele Fingernägel ich mir noch abkaue oder wie viele Schimpfwörter ich noch hinausschreie… mir fällt nichts ein, überhaupt gar nichts. Es ist jetzt schon über fünf Stunden her, dass ich aufgefordert wurde, eine narrative Biographie über mein Leben zu schreiben und der Computerbildschirm hält mir immer noch seine Leere, seine herausfordernde Unbeflecktheit unter die Nase. Und ich hab so wahnsinnige Lust, diese demütigende, weiße Jungfräulichkeit zu zerstören… aber nichts da. Und ich frage mich: „Ist dein Leben wirklich so langweilig? Hast du in diesen 35 Jahren deines Lebens nichts Bedeutendes gemacht, dass es wert wäre mitzuteilen?“

Ich steh vom Schreibtisch auf, geh in die Küche, mach das Radio an und nasche ein Stück Fleisch aus dem Topf, in dem der Eintopf von heute köchelt (Apropos: Ich hasse Eintöpfe – falls ihr mich irgendwann mal zum Mittagessen einladen solltet, was ich übrigens niemals annehmen würde, da ich unter Sozialphobie leide). Dann geh ich wieder aus der Küche, zurück an den Schreibtisch und setz mich hin. Während ich wieder und wieder das heiße Stück Hochlandrind kaue, beobachte ich erneut die immer noch unbefleckte, milchige Word-Seite. Ohne es zu wollen, konzentriere ich mich auf die Stimme im Radio, es ist Mittag, Nachrichtenzeit. „Evo hier“, „Evo da“, „Evo überall“. Und plötzlich fang ich an zu schreiben:

Mein Name ist Javier Badani, ich bin Bolivianer und ich bin „in“. Das bin ich, weil mein Land an sich „in“ ist. Seit 2005 treibt Präsident Evo Morales soziale und politische Prozesse voran, welche die Aufmerksamkeit des Kontinents und der Welt – im Guten wie im Schlechten – auf Bolivien gelenkt haben.

Und was soll ich anderes machen, als diese außergewöhnliche Situation – die mit der Chompa begann, dem typischen Pullover der indigenen Bevölkerung, den Evo in den europäischen Palästen trug – für mich zu nutzen und zu versuchen, dass meine Stimme als Bürger nach 35 Jahren zu Wort kommt?

Das ist es, ich habe gewonnen! Ich habe die makellose Reinheit der Seite befleckt. Diese Unverfrorenheit gibt mir ein Gefühl der Zufriedenheit. Kleine schwarze Flecken haben der Jungfräulichkeit dieser Seite ein Ende gesetzt. Meine Finger zittern immer noch von diesem Hochgefühl. Das ist ein kleiner Sieg für einen Menschen, wie ich es bin, experimentell und aus der Not heraus vielseitig verwendbar: im Journalismus, den ich seit sechs Jahren bei der Tageszeitung La Razón (La Paz) ausübe, wo ich die sonntägliche Beilage „Tendenzen“ leite; in der Fotografie, die es mir erlaubt, meine Bilder in kulturellen Einrichtungen in La Paz auszustellen; in der literarischen Welt, in der ich zwei Geschichten in einem Sammelband veröffentlichen durfte, und – wie alle, könnte man sagen – im Universum der Familie und in der Vaterrolle von zwei kleinen Töchtern, die mein Leben bereichern.

Mit meinem Abschluss in Publizistik von der Universität „Nuestra Señora de La Paz” konnte ich meine Fähigkeiten weiter ausbau…

Ich halte inne und lese auf dem Bildschirm, was ich gerade geschrieben habe. Ich muss lachen, denn ich weiß, dass es eine Lüge ist, die mir schon ein paar Türen geöffnet hat (nicht viele, um ehrlich zu sein), um Arbeit zu bekommen. In Wahrheit hab ich das Studium der Publizistik nicht erfolgreich beendet. Die Billardrunden, die ich leidenschaftlich spielte, der Traum, ein berühmter Literat und Musiker (was für eine Kombination!) zu werden und die extreme Abneigung für jegliche Struktur und Formel die besagt, „dass und wie ein Mensch im Leben erfolgreich zu sein habe“, haben mich weit von den Hörsälen der Uni entfernt.

Barkeeper, Wandmaler, Uhrmacher, Gärtner, Türsteher bei kulturellen Veranstaltungen (ich werde niemals die Nacht des 25. 03. 1997 vergessen, als ich der Magie von Ian Gillians Stimme, dem Sänger von Deep Purple, lauschte, auch wenn es nur vom Parkplatz aus war), Verkäufer von gewichtsreduzierenden Milchshakes, die nichts bringen, und von Alpakawollpullis, die von einem schlechtgelaunten Japaner entworfen wurden (der mich schlussendlich rauswarf, weil ich mich in eine Verkäuferin verliebte, in die er sich verknallt hatte). Ja, ich hab in meinem Leben schon alles gemacht, außer das, was ich wirklich will: mich ganz und gar der Schriftstellerei und der Fotografie zu widmen.

Ich bin in die Welt des Bloggens eingetreten, ohne es zu wollen. Es war im Jahr 2007 und damals weigerte ich mich, ein weiteres Opfer der technologischen Spielzeuge zu werden; ich hatte nicht einmal ein E-Mail-Adresse. „Ein Handy ist schon Belastung genug für so einen ‚Anti-Sozialen‘ wie mich“, überzeugte ich mich. Ein Freund überredete mich dann, ein Blog einzurichten, um meine Zeitungsreportagen zu veröffentlichen. Der erste Eintrag? „Der Club der Lügner“, ein Text über eine Gruppe älterer Menschen aus einem Dorf bei La Paz, die sich ab und an trafen, um sich fantastische Geschichten zu erzählen. Die Reaktion? Zwei Personen haben einen Kommentar hochgeladen: Einer hat mich beglückwünscht, der andere verrissen. Zum ersten Mal spürte ich die Macht des geschriebenen Wortes im Internet, Meinungen zu formen. „Kann es einen größeren Beweis der freien Meinungsäußerung geben?“ habe ich mich gefragt und füttere seitdem meine Seite mit Texten zu den verschiedensten Themen. Von da an nahm ich mir zudem vor, jede weiße Seite, die sich mir auf dem Bildschirm zeigt, zu entjungfern.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

]]>
http://superdemokraticos.com/poetologie/ich-bin-experimentell-und-aus-der-not-heraus-vielseitig-verwendbar/feed/ 4